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Zuhören

25.04.2025
Zuhören

(IRS) Es gibt Menschen, denen könnte ich aufmerksam stundenlang zuhören, wenn sie Geschichten erzählen oder Zusammenhänge erklären. Bei anderen wiederum, würden die mir dasselbe vortragen oder präsentieren, hätte ich spätestens nach ein paar Minuten innerlich auf Stand-by geschaltet und trotz physischer Präsenz gedanklich das Weite gesucht. Ich gebe zu, dass dieser vermeintliche Selbstschutz kein beispielhaft gutes Verhalten darstellt. Ich weiß mittlerweile auch schon seit Jahrzehnten, dass die Fähigkeit zu aktivem Zuhören immens wichtig ist und dass man sie genauso erlernen kann wie Reden, Lesen oder Sprechen.

Zuhören erfordert Präsent sein

Das gilt auch und besonders für die Arbeit eines Gerichtssachverständigen, vor allem bei Ortsterminen, Vernehmungen, Erörterungen. Der kann nicht nur, der muss aktives Zuhören zuverlässig beherrschen! Und aufrecht erhalten können während vielleicht stundenlanger, nach außen hin fad und ermüdend langweilig erscheinender Prozedur, wie sie in Gerichtsverfahren halt oft unvermeidlich ist. Aktives Zuhören ist die Voraussetzung dafür, dass man einem Verfahren nicht nur folgen kann, sondern stets präsent ist und bei Erfordernis jederzeit in der Lage, einzugreifen, zu reagieren, zu fragen, zu antworten.

Zuhören bedeutet Fragen stellen

Typische Tagsatzung bei Gericht: Parteien oder Zeugen sind aufgefordert, in Bezug auf einen Streitfall ihre Wahrnehmungen zu schildern. Die tun das von Sprechen und Sprache her gesehen nicht selten auf schwer verständliche Art und Weise. Manchmal muss man ihnen die passenden Worte und Begriffe Worte regelrecht „herausziehen“, etwa indem man ihnen Fragen stellt. Man muss ihnen Begriffe erklären und rückfragen, ob diese auch verstanden worden sind. Desgleichen kann ein Wortwechsel mit Rechtsanwälten kann werden: Etwa in Zusammenhang mit selten gebrauchten Rechtsbegriffen muss der Sachverständige prompt rückfragen und sich die konkrete Bedeutung erklären lassen.

Zuhören bedeutet umformulieren

Oft erlebt: Ein Sachverständigenkollege aus einem mir fremden Fachgebiet präsentiert mir die Ergebnisse seines Gutachtens. Wir beide arbeiten am selben Gerichtsfall, die Ergebnisse seines Gutachtens sind Grundlage für einen Teil meines Gutachtens. Ich muss also genauso wie er verstehen und dem Auftraggeber gegenüber erklären und vertreten können, was er herausgefunden hat. Ich formuliere seine Aussage mit meinen stark vereinfachenden Worten neu, damit wir beide erkennen können, ob ich ihn richtig verstanden habe. Erst nach einigem Hin und Her wird klar, worum es tatsächlich geht.

Zuhören bedeutet Vermeidung von Vorurteilen …

… oder zumindest deren Eingrenzung, das gilt nicht nur für negative Vorurteile, sondern auch für positive. Ich kann durchaus Empathie empfinden für die Person, für die das Urteil aufgrund meines Gutachtensergebnisses in einem wirtschaftlichen oder menschlichen Desaster endet, es darf aber nie Sympathie daraus werden. Umgekehrt muss ich die Argumente des Mannes in Handschellen vor mir genauso nüchtern und sachlich anhören können wie die des klagenden Handwerkers, der sichtlich in Rage gerät, weil er die vereinbarte Zahlung für seine erbrachten Leistungen wahrscheinlich nie erhalten wird.

Zuhören bedeutet letztlich auch Beobachten

Wir kommunizieren nicht nur sprachlich, sondern äußern uns in starkem Maße nonverbal. Zum Zuhören gehört daher das Beobachten: Das Einfangen von Stimmungen, Nervosität oder Gelassenheit, Bewegungen des Oberkörpers, Verschränken der Arme, Gesichtsausdruck, Blickrichtung, Augenzwinkern, Spiel mit dem Kugelschreiber, fester oder flüchtiger Augenkontakt, Blick an die Decke, Hände vors Gesicht, Wippen auf dem Stuhl, flüchtiges Blättern in den Unterlagen, gereizte Stimmlage, … Die aufgenommenen Eindrücke runden das gewonnene Bild jenes Menschen ab, mit dem wir es gerade zu tun haben.

Zuhören verlangt nach lebenslangem Training

Mit zunehmendem Alter ist das Wiedererlernen des Zuhörens besonders wichtig. Jemand hat mich einmal darauf hingewiesen, dass ältere Menschen aufgrund ihrer Erlebnisse und Erfahrungen einem höheren „Erzähldrang“ ausgesetzt sind und auf Ihre Art lernen müssen, zuzuhören. Jüngere Menschen hingegen haben eine wesentlich geringere Aufmerksamkeits-Spanne, müssen aktives Zuhören erst lernen und können daher durch die Erzählungen älterer Menschen leicht überfordert werden. Oder anders gesagt: Weniger ist mehr. Die Kunst der Alten liegt also darin, sich rechtzeitig einzubremsen.

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