Schon mal überlegt, wie Veränderungen zustande kommen und wie sie ablaufen? Viele Umgestaltungen – vielleicht sogar die meisten – in allen möglichen Bereichen, etwa in Politik, in Unternehmen, Gruppen, Familien, ereignen sich ja nicht gewollt. Sie werden nicht nach Plan geschaffen, sondern entstehen aus verschiedensten, meist nicht erwarteten Umständen heraus. Menschen reagieren auf erzwungene Änderungen meist unwirsch und neigen zum Verdrängen, in der irrigen Erwartung, dass sich das nahende Ungemach irgendwie doch noch auflösen würde. Klüger aber ist, wer rechtzeitig in das „Haus der Veränderung“ übersiedelt.
Wenn wir uns selbst mit Veränderungen konfrontiert sehen, ist es nicht immer einfach zu erkennen, welche Mechanismen und Kräfte gerade im Spiel sind und wie sie die Lage beeinflussen. Wir versuchen, uns einen Überblick zu verschaffen und sehen vielleicht das Spielfeld, auf dem sich der Wandel vollzieht. Aber wir können nicht schnell einschätzen, wie wir uns verhalten sollen. Zunächst bemühen wir uns, Schaden zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen. Wir überlegen, welche Lösungen oder Auswege zu finden sind. Verstärkt sich die Unsicherheit noch zur Krise, kann das lähmend wirken.
Ein nützliches Denkmodell
Im Grunde genommen sind Veränderungen allgegenwärtig, somit ist jede diesbezügliche Hilfe willkommen. Eine solche Hilfe ist das Denkmodell „Haus der Veränderung“. Es entstammt den Forschungsarbeiten des schwedischen Psychologen Claes F. Janssen, die dieser an der Universität Stockholm schon vor mehr als fünfzig Jahren durchgeführt hat. Das Modell ist auch unter Bezeichnungen wie „Die vier Räume der Veränderung“, „House of Change“, „Four Rooms of Change“ im Web mit vielen Informationen gegenwärtig und wird in Trainings, Coachings, Beratungen und dergleichen vielfach eingesetzt und ist im Bild unten grafisch dargestellt.
Die Namen der vier Räume
Unter dem Dach dieses Hauses befinden sich vier Räume. Diese Räume stehen für die Phasen, in denen eine Veränderung abläuft. Die Räume tragen die Bezeichnungen Erneuerung, Zufriedenheit, Verleugnung und Verwirrung. Als Regel für die Bewegung im Haus gilt: Man kann diese vier Räume immer nur in Richtung gegen den Uhrzeigersinn durchschreiten, was die markierten Pfeile verdeutlichen sollen, also zum Beispiel von Erneuerung in Zufriedenheit, aber nicht umgekehrt. Im Keller befinden sich noch zwei Räume: Verzweiflung und Resignation, diese sind nur über Falltüren aus den jeweils darüberliegenden Räumen erreichbar.
Im Umbruch Standort und Orientierung finden
Was das an sich sehr einfache Modell so nützlich macht, ist zuallererst die Anwendbarkeit auf Veränderungsprozesse wahrscheinlich in allen menschlichen Lebensbereichen. Das beginnt damit, dass man anhand der vier Räume sofort feststellen kann, in welcher Phase des Umbruchs sich jemand oder etwas befindet, sodass realistische Standortbestimmung oder ehrliche Selbsterkenntnis möglich werden. Schließlich lässt sich auf dieser Grundlage eine erste Orientierung dazu finden, wo die Reise hingeht, was als nächstes zu erwarten und welchen Gefahren auszuweichen sein wird.
Phasen der Veränderung
Die einzelnen Räume haben für den Veränderungsprozess folgende Bedeutungen:
Erneuerung
In diesem Raum ist man Realist, ist sich bewusst, dass Erneuerung eine ständige Notwendigkeit für eine befriedigende Existenz darstellt, dass Offenheit und stete Kommunikation gefordert werden, um Fehler zu vermeiden. Es herrschen Dynamik, Wachheit und Aufmerksamkeit in der Beobachtung des Umfelds. Es wird keine der Notwendigkeiten vernachlässigt oder dem Zufall überlassen. Diese Phase ist vielleicht auch gekennzeichnet durch die gesammelten Erfahrungen in vorhergehenden Räumen. Ziel sollte sein, in diesem Raum zu bleiben und zu leben.
Zufriedenheit
Es besteht keine Notwendigkeit, in diesen Raum kommen zu müssen. Man will das vielleicht auch gar nicht. Es geschieht aber, selten bewusst, es mag eher wie ein Hinübergleiten sein, denn im ersten Augenblick ist hier nicht viel anders, es ist nur angenehmer, man kann hier verweilen, es gibt sogar einen Balkon für Urlaub und Entspannen. Man genießt einfach, kann die Zügel schleifen lassen. Statt Dynamik ist Stillstand eingekehrt. Alles scheint wie gewohnt, doch die Welt dreht sich weiter. Es treten Probleme auf, die nicht wahr- oder ernstgenommen werden.
Verleugnung
In diesen Raum geht man auch nicht willens und bewusst, sondern man wird von den Entwicklungen mehr oder weniger sanft hineingeschubst, ohne dass man richtig weiß, warum. Die Probleme sind rundherum größer geworden, werden eher beiläufig registriert, aber verdrängt und Verantwortung dafür wird abgeschoben, Lösungen werden nicht gesucht. Es gilt „Business as usual“, schuld ist der andere oder sind die anderen, man hat sich nichts vorzuwerfen, auch wenn die Ereignisse unangenehm werden und immer öfter in Konflikte ausarten.
Verwirrung
Hier kommt auch niemand freiwillig herein. Es ist der Raum, in dem nach und nach die tatsächlichen Gegebenheiten in ihrer ganzen Tragweite erkannt werden. Erschrecken, ja Entsetzen sind die Folge, Ausweglosigkeit und Niedergeschlagenheit machen sich breit, Tränen fließen, Trauer kommt auf. Hin und wieder durchbrechen einzelne Strahlen der Hoffnung die dunkle Trübnis. Eine Tür nach draußen bietet Fluchtmöglichkeit, radikales Raus aus dem Problem, Trennung einer Partnerschaft, Pleite eines Unternehmens … aber der richtige Weg geht nach oben, Umkehr vom falschen Weg, hinauf zur Erneuerung!
Der Keller: Verzweiflung und Resignation
Manche geben vorzeitig auf oder glauben, das tun zu müssen, sie bleiben verzweifelt, machen vielleicht ein Leben lang sich, anderen oder den Umständen Vorwürfe, können sich oder anderen nicht verzeihen, werden seelisch verhärtet und resignieren, sind vielleicht für immer gezeichnet von den Erlebnissen und Ereignissen. Man kann nur hoffen, dass manche es schaffen, wieder selbstkritisch genug zu sein, aus den vergangenen Fehlern zu lernen und den Weg zurückzufinden in die darüber liegenden Räume bis hinauf zur Erneuerung.
Anmerkung
Die vorige Beschreibung der Räume des Modells entspringt einer sehr persönlichen Auffassung des Autors dieser Zeilen. Im Internet finden sich zahlreiche andere Interpretationen und Sichtweisen, die für den Leser interessant und wertvoll sein könnten. Es empfiehlt sich eigene Recherche. Interessant ist jedenfalls, dass sich das Modell in den Jahrzehnten seiner Existenz auf sehr viele unterschiedliche praktisch brauchbare Anwendungen ausgebreitet hat. Das zeigt, dass hinter dem Modell Prinzipien stecken, die zeitlos sind.
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