So lautet der Titel eines Beitrags des ORF Salzburg am 2. Februar2025*, verfasst von Frau Christine Hackenbuchner, der das Thema Sachverständigenmangel aufgreift, das auch in diesem Blog mehrmals angesprochen worden ist. Die Zahl der Sachverständigen sei in den letzten zehn Jahren gesunken. Als ein Beispiel für ein Fachgebiet mit eklatantem Mangel wird das der psychiatrischen Kriminalprognostik genannt, auf dem es keinen einzigen Sachverständigen im Land Salzburg gibt. Als Ursache dafür sind niedrige Bezahlung und hohe Verantwortung angeführt. All das führe zu Verzögerung von Verfahren.
Der Leiter der Staatsanwalt Salzburg, Andreas Allex, weist auf ein weiteres Problem hin:
„Österreichweit sind es 22 Sachverständige. Da muss man sich aber vor Augen halten, dass der Großteil rund 60 Jahre oder älter ist und etwa ein Drittel davon rund 70 Jahre oder älter, sodass sich dieses Problem wahrscheinlich in Zukunft noch weiter durch pensionsbedingte Abgänge verschärfen wird.“
Zu Verzögerungen meint die Sprecherin des Landesgerichts Salzburg, Christina Bayrhammer:
„Der Mangel an geeigneten Sachverständigen führt zu einer Konzentration auf einige wenige Experten. Das führt zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer, weil die wenigen verfügbaren Gutachter mit Aufträgen überlastet sind. Es kommt natürlich schon einmal vor, dass sich hier die Zeit verdoppelt oder verdreifacht. Natürlich klärt man das aber vorher als Richter mit dem Sachverständigen und schaut, dass man Experten findet, die in der kürzesten Zeit ein Gutachten erstatten können.“
Auch der Sachverständigenverband sieht bereichsweise weiße Flecken:
Für das Bundesland Salzburg sind auf der Liste für beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige insgesamt 492 Personen angeführt. Vor zehn Jahren waren es 528. Die Zahl der Gutachter ist also gesunken – um 6,8 Prozent. Allerdings gebe es zusammen mit jenen, die Gutachter werden wollen, die Prüfung aber noch nicht bestanden haben, sogar ein leichtes Plus bei den Sachverständigen, sagt Erich Kaufmann, Präsident des Landesverbandes der Gerichtssachverständigen für Oberösterreich und Salzburg.
Es bestünden „bereichsweise weiße Flecken wie bei den Psychiatern und KFZ-Sachverständigen“, räumt Kaufmann allerdings ein. Die Bezahlung sei in diesen Fällen einfach zu schlecht. Bei den Psychiatern schrecke zusätzlich die große Verantwortung ab.
Ein Beispiel für nicht mehr zeitgemäße Entlohnung:
Gutachter werden nach dem Gebührenanspruchsgesetz entlohnt. Trotz einer Erhöhung der Tarife im vergangenen Jahr, bei der allerdings nur die seit 2007 nicht angepassten Gebühren nachgeholt worden sind, bleibt die finanzielle Situation vieler Sachverständiger prekär, bestätigt Kaufmann. Eine besonders zeitaufwändige psychiatrische Untersuchung wird laut Gebührenanspruchsgesetz beispielsweise pauschal mit 116 Euro vergütet, bei widersprüchlichen Befunden sind es knapp über 195 Euro.
Auch die Oberlandesgerichte haben einen Forderungskatalog:
Neben dem Sachverständigenverband sind zuletzt im November 2024 die Gerichte an das Justizministerium mit einem Forderungspapier herangetreten, sagt Gerichtssprecherin Bayrhammer: „Darin wird unter anderem eine Anhebung der Tarife für die Entlohnung der medizinischen Sachverständigen gefordert. Es ist wichtig, dass die Tarife an die außergerichtliche Tätigkeit angepasst werden, um den Nachwu und chs zu sichern und den Rechtsstaat zu stärken“, betont Bayrhammer.
Geschildert wird die Arbeit des Unfallgutachters Gerhard Kronreif, der fast immer bereit sein muss für Einsätze und der seinen Job – was in anderen Fachgebieten eher unüblich ist – exklusiv, also ohne einen Hauptberuf, betreibt:
Das Gutachterdasein ist seine Leidenschaft, bringt neben großer Verantwortung aber auch persönliche Einschränkungen mit sich. Die meisten Verkehrsunfälle passieren nachts und bzw. oder an Wochenenden, sagt Kronreif: „Es gibt keine Situation, in der ich noch nicht zu einer Unfallstelle gerufen worden wäre. Man hält sich immer einsatzbereit. Das bedeutet auch seit 30 Jahren absolute Alkoholfreiheit, nicht einmal ein halbes Bier.“
Zudem habe sich die technische Ausstattung der Unfallanalytiker in den vergangenen Jahren stark verändert. Moderne Technologien wie Crashdaten-Auslesegeräte und Drohnen erleichtern die Arbeit, machen sie aber auch komplexer und zeitaufwändiger, sagt Kronreif.
Er ist sich der großen Verantwortung bei der Erstellung von Gutachten bewusst: „Man muss sehr exakt arbeiten. Man leistet ja auch einen Beitrag für die Gesellschaft. Alle Beteiligten, besonders die Angehörigen, müssen ja dieses Geschehen aufarbeiten. Ich als Sachverständiger habe schon sehr viele tödliche Unfälle gesehen bzw. aufgearbeitet, aber für die Betroffenen ist es zumeist ein Einzelfall, der sehr vieles verändert. Und da trägt man dazu bei, dass die Justiz eine Entscheidungsgrundlage hat für Verfahrenseinstellungen, für Anklage, für Verurteilung oder für einen Freispruch.“
An seinem Beispiel werden auch die erforderliche lange Ausbildung und die strengen Zugangsvoraussetzungen dargestellt:
Warum er keine Kollegen hat, dafür gibt es viele Gründe, meint der Unfallsachverständige. Neben den Einschränkungen im Alltag und der hohen persönlichen Einsatzbereitschaft gehöre dazu auch die Ausbildung. In Österreich benötigt man ein abgeschlossenes technisches Studium und fünf Jahre verantwortungsvolle Tätigkeit, bevor man sich als Sachverständiger eintragen lassen kann. In Deutschland sind es drei Jahre einschlägige Praxis. Diese hohen Anforderungen führen dazu, dass viele Techniker, die bereits in gut bezahlten Positionen arbeiten, nicht den Schritt zum Gutachter wagen, meint Kronreif.
In Deutschland gibt es große Organisationen wie TÜV oder DEKRA, die Unfallanalytiker ausbilden und beschäftigen. In Österreich fehlen solche Strukturen. Das erschwere den Zugang zur notwendigen Praxis und führe dazu, dass viele Interessierte ins Ausland gehen müssen, um die erforderliche Erfahrung zu sammeln.
„Rein rechnerisch komme ich etwa auf 80 bis 90 Arbeitsstunden die Woche“, berichtet der Gutachter. Diese hohe Arbeitsbelastung und die vergleichsweise niedrigen Honorare würden wohl viele potenzielle Nachwuchskräfte abschrecken. Und bei jemandem, der bereits fünf Jahre in verantwortungsvoller Tätigkeit als Techniker arbeite, sei es eben unwahrscheinlich, dass der oder diejenige seinen/ihren Posten an den Nagel hänge, um Gutachter zu werden, so Kronreif.
Einige Lösungsansätze und Zukunftsperspektiven werden genannt:
Um den Mangel an Sachverständigen zu beheben, werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Dazu gehört neben der Erhöhung der Honorare auch die Verlängerung der Rezertifizierungsfristen. Aktuell müssen sich Sachverständige alle fünf Jahre wieder offiziell vom Gericht bestellen lassen. Sachverständigen-Landesverbandspräsident Kaufmann hält davon aber nicht viel. Die Frist sei vor nicht allzu langer Zeit von zehn auf fünf Jahre herabgesetzt worden. Das mache durchaus Sinn, um Kontinuität aber auch Qualität gewährleisten zu können.
Der Leiter der Staatsanwaltschaft Andreas Allex sieht das ähnlich. Er schlägt vor, „im Studium anzusetzen, um die Attraktivität für eine Sachverständigen-Tätigkeit erhöhen“. Schnupperkurse und spezielle Lehrgänge im Studium könnten dazu beitragen, mehr Nachwuchs für die wichtigen Aufgaben der Sachverständigen zu gewinnen. Die Justiz sei sich des Problems jedenfalls bewusst.
Vorgeschlagen wird auch eine Verkürzung der Eintragungsfrist und Gutachterstellen
Tatsächlich gibt es seitens der Gerichte auch andere Ansätze zur Förderung des Nachwuchses. Dazu gehört laut Gerichtssprecherin Bayrhammer die Verkürzung der Eintragungsfrist für bestimmte Berufe von fünf auf drei Jahre, insbesondere in Bereichen, in denen die Gutachtenerstellung bereits Teil der Berufsausbildung ist. Beispiele dafür seien Mediziner und Techniker.
Verbandspräsident Kaufmann kann einer solchen Lockerung der Zugangsvoraussetzungen allerdings wenig abgewinnen: „Es brauche eine gewisse Zeit praktischer Arbeit als Basis für die verantwortungsvolle Gutachtertätigkeit.“ Ein weiterer Vorschlag der vier Oberlandesgerichte ist laut Bayrhammer Gutachterstellen an Kliniken und Spitälern einzurichten, um die personellen Kapazitäten zu erhöhen und die Ausbildung von künftigen Sachverständigen zu fördern.
Ein ähnliches Modell schlägt auch Gutachter Kronreif vor: Die Schaffung von Gemeinschaften, in denen sich mehrere Gutachter die Arbeit teilen. Trotz der Herausforderungen sei der Beruf nämlich sehr attraktiv: „Einen Versuch ist es immer wert“, ermutigt der Gutachter junge Techniker.
Fazit: Es muss aus der Sicht der Betroffenen, insbesondere der Justiz, durchaus erfreulich sein, dass das Thema Sachverständigenmangel nun auch in den Medien aufgegriffen wird!
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*) Original: https://salzburg.orf.at/stories/3290460/; Zitate in kursiv