(IRS) Zu Beginn meiner Tätigkeit als Gerichtssachverständiger im Jahre 1997 gab es in Österreich über alle Fachgebiete hinweg – wenn ich mich richtig erinnere – zusammengezählt über elftausend in Listen der Landesgerichte eingetragene Kolleginnen und Kollegen. Diese Zahl an Experten stand damals der österreichischen Justiz zur Verfügung. Wie man dem Online-Verzeichnis der Justiz am Ende meiner „Karriere“ mit Stichtag 31.12.2024 entnehmen konnte, waren es zu diesem Zeitpunkt nur mehr 8.096 Sachverständige, das ist also über ein Viertel weniger! Was hat dieser dramatische Schwund an Sachverstand zu bedeuten?
Die Justiz macht das Fehlen von Sachverständigen bereits zum Thema
Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz, Michael Schwanda, hat in einem Interview in der Kleinen Zeitung Graz vom 22.12.2024 folgende Anmerkung gemacht:
„Der Rechtsstaat ist doch die Grundlage der Demokratie, er sichert das friedliche Zusammenleben und auch den Wirtschaftsstandort. Dafür bedarf es einer funktionierenden Justiz, die ihre Aufgaben erfüllen kann. Eine Justiz, die die Verfahren im Interesse der rechtssuchenden Bevölkerung rasch und in hoher Qualität erledigen kann. Dafür ist es erforderlich, dass sie mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet wird. Dazu gehören auch Planstellen im Supportbereich für die Kanzleien und Teamassistenzen, aber auch in anderen Bereichen wie den Sachverständigen. Wir haben zum Teil Probleme, genug Sachverständige zu bekommen. Wenn sich die Gutachtensaufträge auf wenige Sachverständige aufteilen, führt auch das dazu, dass die Verfahren länger dauern.“
Mögliche Erklärungen für den Rückgang
Die möglichen Gründe für den eklatanten Rückgang vermutet eine im Jahr 2024 diesbezüglich befragte Richterin in zwei Ursachen: Zum einen haben bestimmte Fachgruppen es aus Haftungsgründen mit steigenden Risiken zu tun – etwa die aus der Medizin – die abschreckend wirken könnten für potenzielle neue Sachverständige. Zum anderen existieren gerade für bestimmte medizinische Tätigkeiten rigoros vorgegebene und offenbar sehr niedrige Honorargrenzen, die eine Sachverständigentätigkeit wenig attraktiv erscheinen lassen. Es könnte sein, dass es derartige Einschränkungen auch für Sachverständige aus anderen Fachbereichen gibt.
Gibt es noch andere Gründe?
In Ermangelung von Ergebnissen aus soliden Untersuchungen lässt sich die Frage nicht objektiv beantworten. Es bleiben somit nur Schlüsse aus Beobachtungen der Entwicklungen im eigenen Fachbereich – hier in Haustechnik und Energietechnik – sowie Wahrnehmungen bezüglich der Kandidaten, die sich einer Sachverständigen-Prüfung unterziehen. Vorab ist anzumerken: Eine Tätigkeit als Sachverständige können nur jene Personen anstreben, die sich zeitlich und bezogen auf die tägliche Arbeitsmenge Freiräume schaffen und in gewissem Maß flexibel genug sein können, um ein nicht voraus planbares gerichtliches Auftragsvolumen zu bewältigen.
Manche Geeigneten sind desinteressiert
Das bedeutet, dass zum Beispiel solche Unternehmer oder Führungskräfte die Sachverständigentätigkeit als Nebenberuf wählen, deren Betrieb eine dafür geeignete Organisationsstruktur besitzt, sodass sie nicht direkt in das operative Tagesgeschäft eingebunden oder zumindest aus diesem entlastet sind. Diese Personen verfügen im Regelfall auch über eine ausreichend lange aktive Berufserfahrung und aufgrund ihrer persönlichen Reife auch jene Sozialkompetenz, die für das Agieren in Gerichtsfällen unerlässlich ist. Aus eigener Erfahrung sind leider gerade solche Leute meist schwer davon zu überzeugen, dass Sachverständigentätigkeit für sie und auch für die Justiz ein Gewinn wäre.
Manche Interessierte sind ungeeignet
Andererseits wäre schon „Nachschub“ vorhanden, leider von einem ungeeigneten Personenkreis: Von Leuten, die zu einer Prüfung antreten, ohne die nötige Wissens- und Erfahrungsbasis zu haben. Die sich von der Bezeichnung „Sachverständiger“ vielleicht ein gewisses Prestige oder sonstige Vorteile erwarten. Oder von Menschen, die zwar ausreichend Wissen und Erfahrung haben, aber nicht willens sind, sich entsprechend vorzubereiten und zu einer Prüfung halt einmal so aufs Geratewohl antreten. – Es wäre der falsche Weg, die Prüfungsstandards zu senken, nur um mit solchen Interessierten „die Reihen zu füllen“.
Welcher Weg führt zu mehr Sachverständigen?
Sollte sich der Mangel an Sachverständigen verstärken, läge es in erster Linie an Sachverständigenverbänden und Justiz, sich darum zu bemühen, zunächst unzumutbare Einschränkungen und Benachteiligungen aufzuzeigen, die die Attraktivität behindern und soweit möglich, auf deren Beseitigung zu drängen. Um geeigneten „Nachwuchs“ zu bekommen, müsste die Sachverständigentätigkeit viel mehr bekannt gemacht werden, auch die Vorteile, die dieser erfüllende und lohnenswerte Nebenberuf mit sich bringt. Schließlich kann man heutzutage niemanden mehr in einen Beruf drängen. Man kann aber einen Beruf begehrenswert machen.
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