Sonnek

Stufen

Unser aller Leben ist voll von Ereignissen, solche die man selbst erlebt und solche die man beobachtet und miterlebt. Die meisten fallen mit der Zeit der verdienten Vergessenheit anheim. Manche liegen zwar auch schon lange zurück, haben sich aber wegen ihrer besonderen Art unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt. Hin und wieder kommen sie ins Bewusstsein hoch und entlocken uns vielleicht ein Schmunzeln. Mehr noch: Das oftmalige Wiedererleben und manchmal auch Weitererzählen hat diese Erlebnisse ausgeschmückt und zu kleinen Geschichten geformt. Eine solche möchte ich heute weitergeben.

Sie hat sich vor vielen Jahren und zu der Zeit zugetragen, als ich noch die Rolle eines Geschäftsführers eines Installationsunternehmens für Heizung, Lüftung und Sanitär innehatte. Als solchem oblag mir auch die Verantwortung für die Abwicklung einzelner Aufträge. Dementsprechend musste ich selbst viel auf Baustellen unterwegs sein und direkten Kontakt mit Bauherren und -damen pflegen. Meine Klientel umfasste insbesondere die Kunden mit höheren Ansprüchen und solche, die eher den „gehobeneren“ Gesellschaftsschichten zugerechnet wurden oder zumindest gemäß ihrem Eigenempfinden zugerechnet werden wollten.

Der Stammhalter kommt

Ein sehr nettes und umgängliches Ehepaar aus ebendiesen Kreisen hatte noch in doch schon recht fortgeschrittenem Alter Nachwuchs bekommen. Die Geburt des Stammhalters war offenbar Anlass gewesen, eine alte Villa zu übernehmen, gründlich zu erneuern und umzubauen. Der Heizraum bekam eine neue Feuerstätte nach bestem damaligem Stand der Technik, neue Heizungs- und Sanitärleitungen wurden verlegt, Heizkörper wurden erneuert, kurzum geschah auch aus haustechnischer Sicht alles nur Mögliche, um die Wohnstatt für die kommenden Jahrzehnte in größtmöglichem Sinne behaglich zu gestalten.

Haustechnik kann für Männer anziehend sein …

Manche Hauseigentümer – ich rede hier bewusst nur von Männern, bei Frauen konnte ich das nie beobachten – erfreuen sich an der neuen Technik im Keller so sehr, dass sie Besucher und Gäste fast zwingend zu längerem Verweilen im Heizungskeller zu animieren versuchen. Sie schafften es auch, derlei Visiten des Öfteren allein zu unternehmen, um die Gerätschaften zu bewundern, fast kontemplativ ihren Geräuschen zu lauschen und dem Verlauf bestimmter Betriebsdaten zu folgen. Der Hausherr, von dem hier die Rede ist, war auch von dieser Sorte.

… derweil Frauen damit oft besser umgehen

Was der Herr des Hauses allerdings abgrundtief hasste und daher verweigerte, war eine nähere Beschäftigung mit dem Raumsteuergerät der Heizungsanlage. Dieses befand sich an einer Wohnzimmerwand und besaß als eines der ersten eine damals „moderne digitale“ Ausführung.  Analog war bis dato alles gewesen, was man durch simple Drehknöpfe einstellen und Drücken auf Ein-/Aus-Tasten erledigen konnte und was daher auf Anhieb zu erklären und leicht zu verstehen war. Das neue Gerät war nun derart kompliziert zu bedienen, dass ich mich vor einem Besuch vorsichtshalber nochmals in die Bedienungsanleitung vertieft habe. Jedoch: Alles kein Problem für die Dame des Hauses! Sie hatte eine Beschäftigung im oder nahe am Gesundheitswesen, war die Bedienung komplexer Geräte gewohnt und bediente das Steuergerät, wie sie sagte, mit links …

Was tut man nicht alles für die Jugend …

Im Zuge der Erneuerungen hatte der Hausherr den bis dato von der Diele aus frei zugänglichen Kellerabgang mit einer soliden und schönen Türe verschließen lassen. Damit sollte verhindert werden, dass der Junge – damals etwa zwei bis drei Jahre alt – in Gefahr käme, über die Stiege zu stürzen. Es traf dann auch nicht den Jungen, dafür aber den Hausherrn: Vielleicht war er den Besuch im Heizraum etwas zu flott angegangen, oder die neue Tür hatte ihn irritiert, jedenfalls verlor er seinen Halt. Der folgende Sturz endete nicht allzu angenehm, denn einer der Arme oder dessen Schultergelenk wurden dabei ziemlich arg lädiert. Dabei hatte er Glück, dass nicht mehr passiert war.

… und nimmt dafür sogar Unbill in Kauf

Jedenfalls traf ich ihn wieder zuhause in einer etwas sonderbaren Figurierung: Der lädierte Arm schräg nach oben halb ausgestreckt auf einem Gestell fixiert erinnerte frappant an eine schlampig ausgeführte Grußbezeugung aus dem Dritten Reich. Beim Gespräch visavis am Gartentisch im Freien schien die zugehörige Hand mehrmals über meinem Kopf zu schweben. Die Situation hatte bildhaft etwas derart Absurdes und an Komik Erinnerndes an sich, dass ich trotz ihres Ernstes alle Mühe hatte, den gebotenen ernsten Gesichtsausdruck zu bewahren und nicht mehrmals in wieherndes Lachen auszubrechen.

Jedenfalls ist immer etwas los

Zurück im Haus während eines kurzen Gesprächs mit der Hausdame hörte man nach einer Weile ein leises Zischen aus dem Nebenraum. Bei sofortiger gemeinsamer Nachsicht stellte sich heraus, dass das sich ansonsten ruhig gebende Söhnchen es derweil geschafft hatte, einen ordentlichen Streifen der Tapete aus der frisch gestalteten Wand herauszureißen. Das folgende Donnerwetter erwies sich als eines der liebevollsten, das ich je gehört habe. Den kleinen Sohn habe ich aufmerksam zuhörend in Erinnerung, ansonsten schien er nicht sonderlich beeindruckt. – Den netten Leuten bin ich nachher nicht mehr begegnet. Ich vermute, dass der Kleine seine Jugend genießen konnte. Ich hoffe aber auch, dass seine Eltern einen schönen Lebensabend haben …

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