Sachverständigen ist der Unterschied zwischen Befund und Gutachten wohlbekannt. Ein Auftraggeber will vom Sachverständigen eine Frage aus dessen Fachgebiet beantwortet haben. Sieht sich der Beauftragte dazu in der Lage, sammelt er alle wahrgenommenen und relevanten Tatsachen und Sachverhalte, die er anschließend in einen Befund verpackt. Auf Grundlage desselben und bestimmter fachlicher Kriterien kommt er zu gutachterlichen Schlussfolgerungen, die er begründen wird. So weit, so gut. Bei mancher Art von Darlegung scheint jedoch oft unklar, ob sie Teil des Befundes oder des Gutachtens sind.
Eine Geschichte, die sich anscheinend öfters ereignet
Ich will mich nicht auf allgemeine Ausführungen beschränken, sondern an einem ganz konkreten Beispiel eines Gerichtsfalls schildern, worum es mir geht. (Anzumerken ist, dass mir in meiner Praxis fachlich gesehen derlei Fälle in sehr ähnlicher Form schon mehrmals untergekommen sind.) – Also: Ein Hausbesitzer hat sich – dem allgemeinen Trend zu nachhaltigerer Energiebereitstellung folgend – dazu entschlossen, seine bestehende Ölfeuerungsanlage demontieren zu lassen und durch eine elektrisch betriebene Wärmepumpenanlage zu ersetzen. Letztere soll ihre Energie aus der Außenluft beziehen. Geht locker, meint der Installateur, sogar die Heizkörper könnten bleiben, wie sie sind.
Die Vorfreude auf Behaglichkeit wird enttäuscht
Die Anlage wird installiert, Hausherr und Installateur sind bester Stimmung. Die hält an, bis die ersten wirklich kalten Tage im Jänner zugange sind. Die neue äußerlich tadellos erscheinende Anlage müht sich redlich, allein es gelingt ihr nicht, im Hauptwohnraum und den Kinderzimmern eine Temperatur bereitzustellen, die den Erwartungen der Hausbewohner entspricht. Mehrere engagierte Feinjustierungen werden vorgenommen, an der Gesamtsituation ändert sich nichts. Hausherr und Installateur sind mittlerweile leicht gereizt, aber die Außentemperaturen werden milder, auch die persönlichen Spannungen, weil die Raumtemperaturen wieder steigen.
Als unhaltbar empfundener Zustand wandert vors Gericht
Im Sommer macht sich der Installateur nochmals die Mühe, einige Nachbesserungen vorzunehmen, wechselt den einen oder anderen Anlagenbestandteil aus und ist guter Dinge, dass die Anlage jetzt gut laufen wird. Allerdings ändert sich nichts, auch im folgenden – recht milden – Winter liefert die Anlage nicht die gewünschten Raumtemperaturen. Beschwichtigungen helfen nichts mehr, der Hausbesitzer wechselt die Gesprächspartner, jetzt ist nicht mehr der Installateur dran, sondern der Rechtsanwalt. Mehrere Mahnschreiben fruchten nichts, die Sache geht vor Gericht.
Der Sachverständige macht eine örtliche Befundaufnahme.
Der Auftrag an den Sachverständigen enthält mehrere Fragen, im Wesentlichen geht es darum, herauszufinden, warum die Anlage nicht funktioniert hat. – Die örtliche Befundaufnahme verläuft weitgehend konfliktfrei. Gebäudepläne und technische Unterlagen der Anlage liegen vor, ebenso die peniblen Messprotokolle des Hausherrn, dessen Umfang an Aufzeichnungen mit Zunahme der Frustration über die zu kalte Behausung Ausmaße angenommen hatten, die einer mittelmäßigen wissenschaftlichen Publikation zur Ehre gereicht hätten. Aber ich will vom eigentlichen Thema nicht abschweifen.
Sind Berechnungen noch Teil des Befunds oder gehören sie schon zum Gutachten?
Die Beantwortung der Fragen erfordert vom Sachverständigen ausführliche Berechnungen. Zunächst muss die Heizlast des Gebäudes ermittelt werden. Dann ist die Wärmeabgabe der Radiatoren zu durchleuchten. Schließlich sind die Leistungsdaten und die Vorlauftemperaturen der Wärmepumpe miteinzubeziehen. Für die Berechnungen müssen einige Annahmen getroffen werden, die genau festgehalten werden. – Streng genommen stellen einzelne Schritte dieser rechnerischen Überprüfungen bereits Schlussfolgerungen dar, gehören sie daher nicht eher in den Gutachtensteil? Hier tut sich ein möglicher Graubereich auf.
Jeder Sachverständige muss für sich eine Vorgangsweise finden
Schlussendlich muss jeder Sachverständige für sich eine Entscheidung treffen und diese auch vertreten können. Für mich selbst halte ich es zumeist so, dass Berechnungen im Befund belassen werden als Vorbereitung des Gutachtesabschnitts. Ich sehe sie nicht als Teil der gutachterlichen Beantwortung der Fragen aus dem Gerichtsauftrag. Ich habe das in vielen Jahren so gehalten und damit keinen Widerspruch geerntet. Im Gegenteil scheint es mir so, dass dadurch genaue, präzise und kurze gutachterliche Aussagen möglich sind, was sowohl vom Gericht als auch von den Parteienvertretern geschätzt wird. – Auch wenn es direkt mit dem Thema nichts zu tun hat: Im gegenständlichen Gerichtsfall hat der Installateur in einem Vergleich gegen Aufpreis die eingebaute Wärmepumpe gegen eine mit ausreichend hoher Vorlauftemperatur getauscht …
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