Sonnek

SR-71

Unter Begegnungen verstehe ich üblicherweise solche mit bemerkenswerten Menschen. Die Begegnung von heute hat im Gegensatz dazu mit einem Gegenstand zu tun, genauer gesagt mit einem Flugzeug, mit einem in jeder Hinsicht ungewöhnlichen. In der Allgemeinheit weitgehend unbekannt, ist es für Techniker ein faszinierendes Beispiel dafür, was Ingenieurkunst und Erfindergeist zustande bringen können, wenn technische Herausforderungen angenommen werden und finanzielle Grenzen nicht existieren. Die Rede ist vom US-amerikanischen Spionageflugzeug SR-71 Blackbird.

Die SR-71 (es gab noch Ausführungen mit etwas anderen Bezeichnungen) war ein Kind des Kalten Krieges. Die Entwicklung begann bereits Ende der Fünfziger-Jahre, das Flugzeug bekam die Aufgabe, in Flügen über der damaligen Sowjetunion ausgehend von Ostasien bis Europa schlicht und einfach mittels Spezialkameras Lichtbilder zu schießen, natürlich vorzugsweise solche von militärischen Anlagen. Die Geschwindigkeit des Flugzeugs erreichte im Marschflug Mach 3,2, was etwa 3.500 km/h entsprach. Wegen seiner hohen Geschwindigkeit und der großen Flughöhe von 22 bis 25 km war es für die sowjetische Luftabwehr unerreichbar.

George R. Brown Convention Center, Houston, Texas, Juni 1995

In der Konferenz des International Gas Turbine Institute spricht der frühere Chefkonstrukteur des Triebwerks J 58 von Pratt & Whitney. 1995 war der Kalte Krieg bereits Geschichte, so kommt es, dass neben mir der für Gasturbinen der Schwarzmeerflotte zuständige Cheftechniker sitzt. Gespannt lauschen wir den Ausführungen des Konstrukteurs. Die Maschine besaß zwei Triebwerke, die direkt in den deltaförmigen Flügeln lagen. Die Beanspruchungen eines Triebwerks mit seinem Nachbrenner waren derart hoch, dass neue Werkstoffe, neue Schmierstoffe und ein neuer Treibstoff entwickelt werden mussten.

US Space and Rocket Center, Huntsville, Alabama, Juni 1995

Ein paar Tage später fahren meine Tochter Pia und ich mit meinem alten Freund John Coon von Little Rock nach Atlanta. Einen Zwischenstopp im Raumfahrtzentrum Huntsville lassen wir uns nicht entgehen. Knapp vor dem Eingang in das Center ist eine SR-71 „geparkt“, man kann direkt an sie heran. Die schwarze Oberfläche ist aus Titan. Diese „Haut“ wurde im Flug wegen der Luftreibung etwa 300°C heiß, besonders kritische Stellen wurden über darunter verlegte Treibstoffleitungen geschützt, die Wärme aufnahmen. Nach der Landung musste die Besatzung mit dem Ausstieg warten, bis die Oberfläche ausreichend abgekühlt war. Die SR-71 sind im Jahr 1995 allesamt nicht mehr im Einsatz, mittlerweile übernehmen Satelliten ihre Aufgaben.

FH Joanneum Graz, Lehrgang Aviation, Juni 2016

Einundzwanzig Jahre später. In Graz zu Gast ist der US-Amerikaner Rogers E. Smith – seines Zeichens Operational- and Research Test-Pilot der NASA  und der NTPS (National Test Pilot School). Er hat den letzten Flug mit einer SR-71 durchgeführt. Nach Ende der Spionageflüge diente die SR-71 noch bis 1999 als Versuchsträger für die NASA. Das Flugzeug war bei Mach 3,2 schneller als jede Gewehrkugel. Schwach war es nur in Bezug auf die G-Belastung, Kurven mussten mit Radien von mindestens 35 bis 42 Meilen geflogen werden. GPS gab es damals noch nicht, das „Navi“ orientierte sich nach Sternbildern, es lag hinter der Kanzel und hatte ein Volumen von etwa eineinhalb Kubikmetern. Das Flugzeug brauchte paradoxerweise am wenigsten Treibstoff, wenn es mit Höchstgeschwindigkeit flog.

Entwicklungen, die die Zukunft vorausnahmen

Interessanterweise hatte das Flugzeug auch schon Stealth-ähnliche Eigenschaften, war also durch Radar schwer zu orten, und das schon viele Jahre, bevor das bei Kampfflugzeugen zum Thema wurde. Insgesamt wurden 32 Stück gebaut, von denen 12 im Zuge von Unfällen verloren gingen, aber die Flugsicherheit war so gut, dass in der gesamten Einsatzgeschichte kein Mensch verletzt wurde! Am 28. Juli 1976 stellte eine SR-71 zwei Weltrekorde für Jet-Flugzeuge auf: Eine absolute Geschwindigkeit von 2.193,167 mph (3.534 km/h) und eine absolute Höhe von 85.068,997 Fuß (25.936 Meter). Eine SR-71A hält bis heute den absoluten Geschwindigkeitsrekord, ohne Nutzlast und jenen mit 1000 kg Nutzlast sowie den Höhenrekord im Horizontalflug.

Rechenschieber statt Computersimulation

Die Entwicklung der SR-71 erfolgte innerhalb von fünf Jahren, noch mit Rechenschieber und ganz ohne Computersimulationen, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Entworfen wurde das Flugzeug vom legendären und äußerst vielfältigen Flugzeugkonstrukteur Clarence Leonard “Kelly” Johnson (1910 – 1990), der auch schon das Spionageflugzeug U-2 gezeichnet hatte. Aber nicht nur das: Die Bandbreite seines Wirkens reichte zurück bis in die Zeit vor dem 2. Weltkrieg, als er die Lockheed P-38 „Lightning“ entwickelte. Auch die berühmte mit vier Kolbenmotoren bestückte Passagiermaschine Lockheed „Constellation“ geht auf sein Wirken zurück, wie auch einige Jet-Kampfflugzeuge, so etwa die F-104 „Starfighter“.

Hier noch die Links zu meinen Quellen und zu weiteren Infos für Interessierte:

Zur Gasturbine:

https://www.thesr71blackbird.com/Aircraft/Engines/j58-the-powerplant-for-the-blackbirds

Zum Bericht über den Vortrag in Graz:

Vortrag: “Die SR-71 ‚Blackbird’ und die Lehren von Kelly Johnson” (airpower.at)

Und hier ein Vortrag ehemaliger Piloten aus einem Museum in den USA:

https://www.youtube.com/watch?v=QnYhq_OCRpQ

Comments are closed.

Copyright ©2012 Ing. R. Sonnek GmbH