Es gibt Menschen, die nach einer direkten Begegnung einen lebenslang anhaltenden Eindruck hinterlassen. Die in ihrer Art und in ihren Errungenschaften außergewöhnlich sind. Dies vor allem dann, wenn sie eine spannende und mit historischen Ereignissen verbundene Lebensgeschichte erzählen können, dies aber frei von jeglichen persönlichen Eitelkeiten und in großer Bescheidenheit – ja in Demut und Dankbarkeit – tun. Ich hatte das Glück, einige dieser Zeitgenossen kennen lernen zu dürfen. Einer davon war Georg von Pragenau. Sein Name ist eng mit der US-amerikanischen Raumfahrt verbunden.
Gegen Ende der Fünfziger-Jahre des vorigen Jahrhunderts waren Öffentlichkeit, Regierung und Militärs der USA noch anhaltend geschockt über die Pioniertat der Russen, die es geschafft hatten, 1957 den ersten künstlichen Satelliten „Sputnik 1“ in eine irdische Umlaufbahn zu schießen. Die zivilen und militärischen Stellen, die sich mit Raumfahrt befassten, erfuhren einen ruckartigen Anstoß, es den Russen gleichzutun. Alle verfügbaren Kräfte wurden mobilisiert, die Suche nach weiteren Kräften begann. Das Team um Wernher von Braun und die Gruppe der deutschen Wissenschaftler auf dem Redstone Arsenal bei Huntsville in Alabama suchte Verstärkung.
Transistoren
Georg von Pragenau war 1927 geboren und hatte nach dem Krieg in Wien sein Studium im Bereich Elektrik, Elektronik und Fernmeldewesen abgeschlossen. Ein Schwerpunkt seiner Beschäftigung lag in der Anwendung von Transistoren, die ein amerikanisches Forscherteam erstmals 1947 der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Dies wiederum erregte die Aufmerksamkeit amerikanischer Stellen. Ermutigt durch eine Empfehlung eines seiner Professoren bewarb er sich an der Botschaft in Wien. Er wurde nach eingehender Prüfung durch einen Experten aus dem ehemaligen deutschen und nun in den USA tätigen Raketenteams in dieses aufgenommen.
Vom Militär zur zivilen Raumfahrt
Georg von Pragenau übersiedelte nach Huntsville in Alabama, wo er zunächst einige Zeit für die US-Armee tätig war, genauer gesagt in der Army Ballistic Missile Agency (ABMA). Er bemühte sich aber, in den Bereich der Raumfahrt zu kommen, was ihm auch schließlich gelang. Er übersiedelte in das Marshall Space Flight Center (MSFC). Die ersten Modelle der für die Raumfahrt vorgesehenen Raketen wiesen eine Menge von Schwächen auf. So etwa litt die Messtechnik unter den starken Vibrationen, die der Antrieb verursachte. Die intensive Beschäftigung mit Schwingungs- und Stabilitätsproblemen brachten ihm die Ernennung zum Direktor für Dynamisches Testen ein.
Saturn 1 und 5
Die größte Herausforderung aber war das Verhalten der Saturn 1, der ersten Rakete für höhere Nutzlasten. Die auftretenden Probleme erwiesen sich als regelrecht bösartig, deren Lösung erforderte außerordentliche Anstrengungen. Die nächste Arbeit begann an der Saturn 5, die später die ersten Menschen auf den Mond befördern sollte. Bei den ersten Testflügen dieser mächtigen Rakete traten an den Förderpumpen für Sauerstoff und Wasserstoff Druckstöße auf, die die Funktion der Aggregate bedrohten. Von Pragenau und sein „Tiger Team“ konnten die Probleme noch rechtzeitig vor dem ersten Start zum Mond beheben.
Tiger Team
Es war um das Jahr 1990, als ich Georg von Pragenau in Graz traf. Er hatte zuvor einen Vortrag bei den „Full Gospel Business Men“ gehalten, einer internationalen christlichen überkonfessionellen Unternehmervereinigung und nahm sich danach Zeit für ein ausführliches Gespräch. Die Arbeit in den Tiger Teams war, meinte er, derart konzentriert, dass er einmal vier Wochen am Stück sein Büro nicht verließ und sogar dort übernachtete. Alle Mittel standen zur Verfügung, auch noch so teure und exotische, wenn es darum ging, ein Projekt rechtzeitig fertigzustellen.
Das Space-Shuttle
Er überreichte mir eine detaillierte technische Zeichnung mit der Darstellung eines Space Shuttle, an dem er mitgearbeitet und Konstruktionsvorschläge zur besseren Gewichtsverteilung gemacht hatte. Aufgrund seiner Leistungen und einer Vielzahl von Patenten war er im Jahre 1985 von der NASA zum Erfinder des Jahres ernannt worden. Die Challenger-Katastrophe 1986 war für ihn Anlass, sich Gedanken über bessere Dichtungen für die Feststoff-Booster-Raketen zu machen. Interessant war auch unsere Diskussion über die Antriebstechnik der neuesten Spionageflugzeuge.
Staustrahltriebwerk, hm …
Die SR-71, die Mach 3 – also dreifache Schallgeschwindigkeit erreicht hatte, war gerade außer Dienst gestellt worden. Über das Nachfolgemodell, das noch wesentlich schneller sei, etwa Mach 5 oder 6, dürfe er nicht viel sagen, weil es noch geheim gehalten werde, aber so viel könne er verraten: Sein Antrieb sei ein Ram-Jet, ein Staustrahltriebwerk, das keine bewegten Teile habe. – In den Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen hatte sich von Pragenau als freier Berater und Konsulent betätigt, hauptsächlich für seinen früheren Arbeitgeber. George Landwehr von Pragenau – wie er mit vollem Namen genannt wurde – war glücklich verheiratet, Vater von fünf Töchtern und von zwei Söhnen. Er starb 2013.
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Quellen für Interessierte: https://en.wikipedia.org/wiki/George_Landwehr_von_Pragenau und in Deutsch: https://de.wikibrief.org/wiki/George_Landwehr_von_Pragenau
Noch was: Der Rocket Park am Redstone Arsenal in Huntsville, Alabama, ist einen Besuch wert!