Anstatt wie erwartet dreißig, vierzig, fünfzig umfasst das Gutachten zweihundertfünfundsiebzig Seiten. Der Inhalt präsentiert sich weit ausholend, gnadenlos detailliert und im wahrsten Sinn des Wortes erschöpfend. Der mit gespannter Aufmerksamkeit angetretene Leser hält inne. Die erhofften Antworten hat er noch nicht gefunden, es fehlen Überblick und Durchsicht. … Seine Situation erinnert an einen missglückten Kindergeburtstag: Der süße Kuchen ist riesengroß und enthält versteckte Überraschungen. Die Kinder schaffen es ob der Größe nicht, sich bis dorthin durchzuessen. Am Ende sind sie zwar satt, aber enttäuscht.
„Typischer Anfängerfehler“, könnte jemand einwenden. Es zeugt nicht von hohem Respekt dem Auftraggeber gegenüber, sein Wissen in einem einzigen Schwung auszuleeren, um seine Kompetenz zu beweisen. Der Auftraggeber will nicht belehrt werden. Er hat ein Problem, braucht Hilfe und erwartet eine brauchbare Antwort auf seine Fragen – unkompliziert, klar und deutlich. Offenbar neigen aber insbesondere jüngere Kollegen mit noch wenig Praxis zu dieser besonderen Art eines „Brain-Dump“. Der nicht nur dem Auftraggeber, sondern auch dem jungen Experten nichts bringt. Im Gegenteil.
Klarheit bringt Vertrauen
Denn dieser Sachverständige verwendet – oder besser gesagt verschwendet – viel wertvolle Zeit zur Bearbeitung, die ihm kein vernünftiger Klient zu ersetzen bereit sein wird. Also schadet er sich allein schon aus dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Was aber noch schwerer wiegt, ist ein möglicher Verlust an Glaubwürdigkeit. Wer nicht klar sagen kann, was Sache ist, sondern argumentativ und vielleicht auch noch geschwätzig herummäandert, bis er zu einem dünn begründeten Ergebnis kommt, riskiert auch Vertrauen. Weil sich der Klient sehr genau überlegen wird, ob er sich diese oder eine ähnliche Erfahrung noch einmal antun soll.
Wie aber macht man das richtig?
Gehen wir davon aus, dass sich der junge Kollege weiterentwickeln will, weil er eingesehen hat, dass weniger mehr sein kann. Wo kann er rasch lernen, wie man das richtig angehen könnte? Ein gar nicht so geheimer Tipp: Bei Journalisten. Das ist ein Berufsstand, dem wir einiges abschauen können, wenn wir etwas über präzise schriftliche Kommunikation erfahren wollen. Man mag im Zeitalter der Fake News über Journalisten denken, was man will, aber sie haben lernen müssen, auch komplexere Sachverhalte auf begrenztem Raum so darzustellen, dass der Leser ihren Ausführungen rasch folgen kann.
Wesentliches zuerst
Das beginnt bei einer knalligen Schlagzeile, die Aufmerksamkeit fordert. Eine solche scheidet bei einem Gutachten allerdings aus – „Beklagter verliert mit Bomben und Granaten!“ – zum Beispiel würde sich auf der Titelseite nicht sehr gut machen. Wohl aber nachahmenswert ist ein „Header“ – ein kurzer Abriss dessen, was den Kern der Botschaft ausmacht. In einem Gutachten wäre das die Zusammenfassung des Gutachtensergebnisses, vor allem dann, wenn sie gleich auf Seite 2, also unmittelbar nach der Titelseite, platziert ist. Der Leser bekommt auf knappem Raum und kompakt und pointiert das Wichtigste serviert.
Details folgen
Im Zeitungsartikel folgt jetzt der Fließtext, der so gestaltet ist, dass die Meldung oder der Kommentar zuerst nochmals die wichtigsten Informationen in Reihenfolge ihrer Bedeutung wiedergibt, diesmal aber mit mehr Details. Zwischenüberschriften und gut gegliederte Absätze erleichtern das Lesen. Diese Aufgabe übernimmt im Fall des Gutachtens das Inhaltsverzeichnis, aus dem sich der Gutachtensinhalt leicht überblicken lässt. Der Leser kann jetzt die für ihn interessantesten Teile herausgreifen und direkt zu diesen durchblättern. Das gesamte Gutachten ist auf den für die Beantwortung der Fragen relevanten Umfang reduziert.
Das erwünschte und erzielte Ergebnis
Der Leser wird in seinen Bedürfnissen und Ansprüchen respektiert, seine Aufmerksamkeit wird ohne Umwege und mit Augenmaß auf die für ihn wichtigen Informationen gelenkt. Er wird dazu ermuntert, die Informationen in der für ihn relevanten Reihenfolge aufzunehmen. Die „nutzerfreundliche“ Gestaltung des Gutachtens hat dies ermöglicht. Um auf die Geschichte vom Kindergeburtstag zurückzukommen: Der verläuft anders als zuvor: Die Kinder bekommen die Überraschungen zuerst. Wer dann noch den Kuchen will, kann essen, so viel er will, er muss aber nicht. Und das macht Freude …
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