Etliche Gutachten, die ich geschrieben habe, sind von ihrer Qualität her nach meinem heutigen Empfinden bestenfalls Mittelmaß. Zum Glück sind das ausnahmslos solche, die aus dem Anfang meiner Laufbahn als Sachverständiger stammen. Mittelmaß aber nicht deshalb, weil sie „dahingeschludert“ worden sind. Im Gegenteil, gerade diese ersten Expertisen haben mir viel Zeit und Schweiß gekostet. Ich konnte es damals einfach nicht besser. Die allmählich steigenden fachlichen Anforderungen durch das Vertrauen von Gerichten und Privaten ermutigten jedoch zu ständiger Steigerung der Qualität.
Nach jahrelangem Umgang mit Kollegen aus der Ziviltechnikerschaft und mit Sachverständigen aus allen möglichen technischen Fachkategorien kann ich eines mit Sicherheit behaupten: Die weitaus überwiegende Mehrheit der Kollegen bemüht sich, in ihrer beruflichen Tätigkeit ständig besser zu werden! Was nicht nur bedeutet, dass sie bestmöglich dienen wollen, indem sie ihren Kunden genau das liefern, was diese benötigen. Nein, sie sind auch dahinter und schonen sich nicht, wenn es darum geht, die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Techniken dazu einzusetzen.
Mehr vom Selben reicht nicht
Aber reicht das, um auch künftig genug Aufträge zu annehmbaren Konditionen zu bekommen? Leider nein! Denn die weitaus meisten Kollegen bewegen sich in Märkten, die von einem harten Wettbewerb gekennzeichnet sind. Es sind logischerweise jene Bereiche der Wirtschaft, auf denen sich alle drängen: Die gebotenen Leistungen sind weitgehend mit denen identisch, die Großteil des Wettbewerbs ausmachen. Dass dabei viel Mühe aufgewendet wird für einen im Vergleich dazu kargen Ertrag, ist eine der zwingenden Folgen. Eine weitere ist die steigende Sinnfrage aus dem Gefühl unzureichender Anerkennung.
Lernen von Nischen-Paule?
Die übliche Antwort auf diese Situation – die auch ich bisher immer geneigt war, ratsuchenden Kollegen zu geben – war die: Suche dir eine Nische! Mit der Nische kannst du es dir leichter machen! – Der Rat mit der Nische ist auch richtig und wirkungsvoll. Denn es ist einleuchtende Strategie, um aus dem umkämpften Pferch auszubrechen und sich von Mitbewerbern abzuheben. Aber wie in die Nische kommen? Wie findet man eine Nische? Nicht jeder ist ein „Nischen-Paule“, wie der legendäre Vertriebsvorstand von BMW, Paul Gustav Hahnemann, der mit der Reihe 2002 eine bis dahin konkurrenzlose „Neue Klasse“ schuf.
Passt es fachlich und vom Motiv her?
Das Problem mit der Nische ist nämlich folgendes: Sie muss zum Arbeitsfeld und zur Persönlichkeit passen – aber nicht jede Nische, die sich anbietet, erfüllt diese Bedingung. Auch die alleinige Motivation, mit einer Nische möglichst viel Geld zu scheffeln, reicht nicht, sondern ist eher ein Rezept zum Scheitern! Und nicht alles, was nach einer Nische aussieht, ist auch wirklich eine. So setzten etwa manche Kollegen aus dem Baufach Hoffnungen auf gute Einkunftsquellen, als die Energieausweise Pflicht wurden. Tatsächlich ist dieser Bereich für manche ein akzeptables Arbeitsfeld geworden, aber keineswegs ein Eldorado.
Besser: Raus aus dem Mittelmaß!
Worauf kommt es nun wirklich an, wenn man raus aus dem will, in dem sich die anderen herumbalgen? Meines Erachtens führt kein Weg daran vorbei, dass man sich in seinem ureigensten Arbeitsfeld bewegt, aber dieses um weitere besondere Fähigkeiten anreichert oder erweitert. Letztere müssen wieder mit den Interessen, Talenten und Bestrebungen der eigenen Persönlichkeit übereinstimmen. Diese „Mischung“ liefert dann ein einzigartiges, konkurrenzarmes Arbeitsfeld und auch eine besondere Motivation, es immer wieder noch besser zu machen. Vor allem aber bringt eine solche Ausrichtung auf die eigene Persönlichkeit eines: Qualität, Freude und vielleicht sogar Leidenschaft, die auch Kunden anstecken wird!
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