Sonnek

Klima-Sprachpolizei

19.06.2020
Mütze

Sachverständige sind angehalten, Darstellungen und Aussagen in ihren Gutachten in einer Sprache zu verfassen, die Laien in die Lage versetzt, den Inhalt zu verstehen. Die Techniker unter ihnen sind ohnehin Freunde klarer Worte, müssen aber wiederum darauf achten, Fachbegriffe zu vermeiden oder ausreichend zu erklären. Wissenschaftler stellen die Definition verwendeter Begriffe ganz vorne in ihre Arbeiten. Politikern und Aktivisten hingegen geht es meist nicht um Klarstellungen. Um ihre Absichten durchzusetzen, deuten sie den Inhalt von Begriffen um oder ersetzen sie durch ihnen genehme.

Das geht im Extremfall so weit, dass bekannte und positiv besetzte Begriffe gekapert und inhaltlich ins Gegenteil uminterpretiert, also neu gedeutet werden. Worte können dieserart als Waffen gebraucht werden. Das Schreckensbild eines totalitären Staates, der dies systematisch betreibt, hat George Orwell in seinem Roman „1984“ gezeichnet. Auch wenn man weiß, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt, die in der Zukunft spielt, ist der Inhalt in seiner Trostlosigkeit und in seinem negativen Ausgang zutiefst erschütternd. Das bleibt auch so, wenn man den Roman mehrmals liest.

Subtile Veränderung mit neuen „Wordings“

Heutzutage laufen Beeinflussungsversuche nicht derart brutal. Sie kommen viel subtiler, verdienen aber nichtsdestotrotz Aufmerksamkeit und kritische Vorsicht. Ein interessantes Beispiel dazu liefert die vermutlich überwiegend aus Steuermitteln finanzierte Österreichische Energieagentur, die unter dem gänzlich unverfänglichen, aber eindeutig irreführenden Titel „Energiehandbuch“ neue „Wordings“ (Englisch laut dict.leo.org für Wortlaut, Formulierung, Formulierungsspielraum, Ausdrucksweise, Anm.) zum Thema Klima vorstellt. Es kann von der Seite www.energyagency.at heruntergeladen werden.

„missionzero“

Im Vorwort der 44-seitigen Schrift wird erklärt, dass die Energieagentur Antworten für eine klimaneutrale Zukunft entwickeln will, mit dem Ziel, dass durch Einsatz neuer Technologien durch Leben und Wirtschaften kein Einfluss mehr auf unser Klima gegeben ist. Dazu wird „die missionzero“ (für diesen englisch klingenden Ausdruck liefert dict.leo.org leider keine Erklärung, Anm.) der Österreichischen Energieagentur propagiert, was gemäß ihrer Organisationsbeschreibung den völligen Ausstieg aus Kohle, Öl, Gas und Atomkraft bedeuten soll. Das Ziel klingt löblich und wäre genauerer Betrachtung wert, was aber hier nicht Thema sein soll.

Was erwartet man sich unter einem Energiehandbuch?

Aber sehen wir uns näher an, was das „Energiehandbuch“ bedeuten soll. Den Ausführungen im Vorwort ist zu entnehmen (Zitate kursiv):

Dabei arbeiten wir auf wissenschaftlicher Basis, die Ergebnisse werden und sollen jedoch nicht nur von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wahrgenommen werden. Schließlich möchten wir unterschiedliche Dialoggruppen und dabei durchaus auch die allgemeine Öffentlichkeit ansprechen. Die Ergebnisse, die wir produzieren, sind schriftliche Berichte bestehend aus Zahlen, Tabellen, Grafiken – und viele Worten. Worte sind das Werkzeug, mit denen wir das Fazit unserer Tätigkeit weitergeben.

Wissenschaftliche Forschung oder politischer Aktivismus?

Das alles ist verständlich und zu begrüßen, die Arbeit der Energieagentur erfolgt auf wissenschaftlicher Basis, was allerdings angesichts ihres Namens erwartet werden darf. Insofern unterscheidet sich die Tätigkeit der Energieagentur auch nicht von der eines gewissenhaften Sachverständigen, der sich seiner Verantwortung bewusst ist. Sehen wir weiter:

Und da wir nicht für die Schublade produzieren, möchten wir, dass unsere Worte verstanden werden. Im nächsten Schritt sollen sie auch Handlungen auslösen. Häufig ist dabei sogar wesentlich, dass diese Handlungen rasch durchgeführt werden. Denn um die Klimakatastrophe abzuwenden, müssen entsprechende Maßnahmen jetzt gesetzt werden, damit uns nicht die Zeit davonläuft.

Zwei Dinge stechen ins Auge

Erstens ist die Energieagentur gemäß ihrer Website ein „Wissenschaftlicher Verein als überregionale Forschungseinrichtung.“ Mit dem „Energiehandbuch“ will die Energieagentur zum Handeln in eine bestimmte Richtung animieren. Sie nimmt damit selber das politische Heft in die Hand und wird Aktivistin, womit sie die Sphäre der Wissenschaft verlässt. Will die Energieagentur jetzt ihren Status als wissenschaftlicher Verein aufgeben? Die zweite Sache ist das Wort „Klimakatastrophe“.  Womit bitte rechtfertigt die Energieagentur den Gebrauch eines derartigen unwissenschaftlichen Begriffs? Dann lesen wir:

Es liegt auf der Hand, dass technische Begriffe wie etwa „Dekarbonisierung“, „Demand Side Management“ oder „Smart Meter“ oder viele andere wissenschaftliche Fachausdrücke oftmals nicht verstanden werden. Auch motivieren sie zumeist nicht dazu, Handlungen zu setzen oder Verhalten zu ändern. Das ist natürlich auch für unsere Auftraggeberinnen und Auftraggeber nicht ideal.

Doch dieses Problem geht weit über die Fachsprache hinaus. Auch etablierte, vermeintlich positive Begriffe lösen immer wieder völlig falsche Assoziationen, Gedankenbilder und letztlich Handlungen aus. Das liegt daran, dass die Bedeutung von Wörtern und Begriffen von ihren Deutungsrahmen (Frames) abhängt. Wir verstehen also – in vielen Fällen auch unbewusst – einen Begriff abhängig davon, wie er mit Themen, Ereignissen und auch Gefühlen verknüpft ist. Dieses Phänomen wird als Framing bezeichnet und mitunter als Kommunikationstechnik verwendet, um die öffentliche Wahrnehmung von Sachverhalten zu beeinflussen. Ein ganz konkretes Beispiel für Framing aus unserer Branche ist „Erderwärmung“. Wärme ist ein positiv besetzter Begriff. Wir empfinden warmen Sonnenschein als angenehmer als kalten Wind. Aber auch im übertragenen Sinn greift das Konzept: Wir erwärmen uns für eine gute Idee, wir freunden uns mit warmherzigen Menschen an oder unser Herz erwärmt sich, wenn wir kleine Kinder sehen. „Globale Erwärmung“ ist also denkbar ungeeignet, wenn wir auf Gefahren und dringende Handlungsnotwendigkeiten hinweisen, die durch einen weltweiten Temperaturanstieg entstehen werden.

Und in diesem Ton geht es weiter in dieser Broschüre, die sich irgendwann im Text als „Energie-Wörterbuch“ bezeichnet, bis schließlich für eingeführte Begriffe ganz konkrete Änderungsvorschläge kommen, die nunmehr nach einem „Lebensframe“ gestaltet worden sind. Interessierte Leser mögen sich selbst ein Bild davon machen. Nur ein paar Kostproben:

-          Statt Erderwärmung, Klimaerwärmung, Globale Erwärmung soll es jetzt heißen: Erderhitzung, es wird heißer, der globale Temperaturanstieg, die Erhitzung des Planeten

-          Statt Klimawandel: Klimakrise, Klimakatastrophe, der globale Temperaturanstieg, (vom Mensch (sic!) ausgelöste) Erderhitzung, die Erhitzung des Planeten, das Klima kippt

-          Statt Klimawende, Energiewende: die nachhaltige Energiezukunft, die klimaneutrale Energiezukunft, Umbau unserer Energieversorgung, Umstieg auf unerschöpfliche Energiequellen, der Weg aus der Abhängigkeit von Öl, Kohle und Erdgas, Neuanfang, neue Energiechancen nutzen

-          Statt Erneuerbare Energie: (unerschöpfliche) Energie aus Wasser, Sonne, Wind und Wald, wir nützen natürliche Ressourcen, wir nützen die Kraft der Natur, natürliche Energie, unerschöpfliche, vorhandene Energie

-          Statt Klimawandelanpassung: Anpassung an die vom Menschen hervorgerufene Klimakrise, Schutzmaßnahmen, um sich vor den Schäden der Klimakrise zu schützen und damit umzugehen, sich vor den Auswirkungen der Klimakrise schützen und lernen, damit zu leben

-          Statt Energieeffizienz: mehr mit weniger erreichen, mit weniger Energie dasselbe Ergebnis oder sogar mehr erreichen/erzielen, gleiches mit weniger erreichen, ohne Komfortverlust, ohne zu verlieren, besser ausnutzen, klug nutzen, aus weniger mehr machen, mit etwas Wertvollem wie Energie achtsam umgehen

-          Etc., etc.

Ein Kommentar dazu

Drei Aspekte finde ich erwähnenswert:

-          Erstens, dass längst eingeführte Begriffe wie Erneuerbare Energie oder Energieeffizienz auch der breiten Öffentlichkeit durchaus geläufig sind, dass man aber deren Bedeutung gesprächsweise meist ohnehin konkretisieren muss. Infantilisierungen dieser Begriffe sind bestimmt nicht notwendig.

-          Zweitens, dass solche Sprachregulierungsversuche Erinnerung an unselige Vergangenheit hochkommen lässt, in der Eindeutschungen kabarettistisch anmutende Resultate zur Folge hatten (als zum Beispiel aus einem 4-Zylinder-Explosionsmotor ein Vier-Topf-Zerknall-Triebling wurde); und schließlich

-          Drittens, dass wir alle etwas sorgsamer darauf achten sollen, dass in geförderten halböffentlichen Organisationen nicht Steuermittel für Dinge verbraucht werden, die der – sanften, aber eindeutigen – Manipulation von Sprachgewohnheiten und damit der Lenkung von Menschen in eine bestimmte ideologisch gewollte Richtung dienen.

Ich halte abschließend fest, dass ich der Energieagentur durchaus beste Absichten zugestehe und die Arbeit ihrer Mitarbeiter respektiere. Aber es kann nicht Aufgabe eines wissenschaftlichen Vereins sein, die Art der sprachlichen öffentlichen Kommunikation regulieren, ja einengen zu wollen. Schon gar nicht, als Sprachpolizei zu wirken, die in eine bestimmte, von grundlosem Alarmismus angekränkelte Richtung lenken will.

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