Sachverständige arbeiten an der Grenze von Technik und Recht und verwenden daher manche dem Recht entliehene Begriffe. Sie verstehen ebendiese Begriffe aber oft in fachlich-technischem Zusammenhang und in anderer Bedeutung als Juristen. Ohne eine dann notwendige Klarstellung laufen sie damit Gefahr, Juristen ins Gehege zu kommen. Für letztere tut sich dadurch eine Lücke auf, die etwa Rechtsanwälte in einem Verfahren für Angriffe auf Sachverständige ausnützen können. Darauf weist der Autor des empfehlenswerten Buches hin, dem nachstehend einige Zitate entnommen sind.
„Das Sachverständigengutachten“ von Lothar Neimke ist im Fraunhofer IRB Verlag im Jahre 2009 erschienen. Es ist von einem langjährigen deutschen Sachverständigen verfasst, der sein Wissen in Ausbildungsinstitutionen an künftige Kollegen weitergegeben hat. Es besticht durch die praxisnahen Darstellungen und durch detaillierte Wiedergabe von Beispielen aus gelebter Tätigkeit. Auch die klare Gliederung des Buches lässt keine Wünsche für den offen, der eine fundierte Sicht auf die Arbeitswelt eines Sachverständigen – besonders für einen aus einem technischen Bereich – erwartet.
Die folgenden ausgewählten Zitate sind wiederum kursiv gekennzeichnet, in Klammern finden sich die Bezüge auf die entsprechenden Buchseiten speziell für den, der gleich nachlesen und sich weiter in die angesprochene Materie vertiefen will:
Zur Aufgabe von Sachverständigen (S. 5):
Aufgabe eines Sachverständigen ist es, Bewertung angetroffener Sachverhalte in ein für den Laien verständliches Gutachten umzusetzen. Die „besondere Sachkunde“ des Sachverständigen – gleich welcher Fachrichtung – muss so in ein Gutachten eingebracht werden, dass Jedermann die Zusammenhänge von der Auftragserteilung bis hin zu dem Endergebnis verfolgen und verstehen kann. Dabei ist es unerheblich, ob allgemein bekannte Umstände, oder nur dem Fachmann verständliche Themenbereiche behandelt werden müssen. Der Sachverständige soll mit einfachen Worten, d.h. verständlich für den Laien, komplexe Zusammenhänge erklären und gegebenenfalls bewerten können.
Zur Ausbildung von Sachverständigen (S. 5):
Ob ein Sachverständiger, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, einen Grundkursus für das richtige Schreiben von Gutachten oder einen Rhetorikkurs belegt, mag jeder ganz für sich allein entscheiden. Zu unterschiedlich sind die individuellen persönlichen Voraussetzungen. Überzeugend schreiben? Geschickt auftreten? Rhetorik ist der aktive, zielbewusste und psychologisch fundierte Umgang mit dem Wort. Schreiben und sprechen lassen sich nicht voneinander trennen.
Zur Verständlichkeit von Gutachten (S. 12f):
Sachverständige haben in der Regel nicht gelernt ihre in einem Fall gesammelten Erkenntnisse so aufzubereiten, dass ihr Auftraggeber mit den in den meisten Fällen eingeschalteten Juristen due Gedankengänge verstehen können, die zu einem Ergebnis geführt haben. (…)
Der Sachverständige muss versuchen Sachverhalte in einer Sprache niederzulegen, die dem Auftraggeber ohne wenn und aber den bearbeiteten Sachverhalt als plausibel erkennen lässt. (…) Nicht eindeutig beschriebene Sachverhalte, zögerlich benannte Folgerungen, unklare Ausdrucksweisen führen zu Lücken, die naturgemäß der Jurist aufspürt und für seine Erfolgsstrategie nutzen muss (…).
Zu privaten Auftraggebern (S. 14):
Ein privater Auftraggeber wird seine Unzufriedenheit äußern, wenn der Sachverständige nicht zu einem von ihm gewünschten Ergebnis gekommen ist. Er weiß häufig nicht, dass ein Gutachter, den er beauftragt hat, in seiner Wertung frei von Vorgaben zu einem Ergebnis ist.
Zu umsichtigem Verhalten des Sachverständigen (S. 14):
Ein Gutachter muss sich während der Gutachtenerstellung, beispielsweise bei einer Ortsbesichtigung und im Rahmen der schriftlichen Abfassung eines Gutachtens jeglicher bewertender Äußerungen enthalten.
Was versteht man unter einem Gutachten? (S. 19)
Grundsätzlich stellt sich die Frage, was unter einem Gutachten überhaupt verstanden wird. Ein Bewerber muss in der Lage sein, das fachliche Wissen in der einem Gutachten entsprechenden Form darzulegen. Dies bedeutet insbesondere, dass alle für das Gutachten und das Verständnis bedeutsamen Tatsachen, Berechnungen und Überlegungen in geordneter, zum Ergebnis hinführender Weise dargestellt werden. Diese Darstellung muss so erfolgen, dass der Fachmann alle daten und Gedankengänge, auf denen sein Gutachten beruht, ohne weiteres nachprüfen und auch der Laie die gedankliche Ableitung nachvollziehen kann.
Das heißt nichts anderes, als dass der Sachverständige seine Fachsprache erklären muss. Zusammenhänge in einer Gutachtenbearbeitung muss er so breit darstellen, dass diese von einem Laien begriffen werden. Er muss sein Gutachten nachvollziehbar aufbauen, d.h. es muss einen Anfang und ein deutliches Ende geben.
Zur Wichtigkeit der vollständigen Aktenauswertung (S. 29):
Es genügt nicht, ganz gleich von welchem Auftraggeber ein Auftrag vorliegt, diesen nur bruchstückhaft vor einer Auftragsannahme oder aber auch während einer Auftragsbearbeitung durchzuarbeiten. Der Sachverständige muss Seite für Seite jedes Aktenstück durchlesen und verstehen. Nur so ist es möglich ein lückenloses Gutachten zu erstellen.
Zu Recht und Technik (S. 35):
Recht und Technik gehen immer mehr ineinander über. Viele Gesetze verweisen auf technische Normen und schaffen so Voraussetzungen für mögliche Haftungsfolgen. Für den Techniker ist es es häufug schwer, die nur in Nuancen unterschiedlichen juristischen Definitionen technischer Begriffe im Detail zu kennen.
Zur Sprache des Sachverständigen (S. 45f):
Zuvorderst sei darauf hingewiesen, dass der Sachverständige seine Gutachten in der „Ich-Form“ schreibt. „Ich habe den Auftrag erhalten; ich habe den Ortstermin wahrgenommen; mir sind die folgenden unterlagen ausgehändigt worden“, usw.
Die noch immer verbreitete Sprachform in der dritten Person, wie „dem Sachverständigen wurde der Auftrag erteilt“, oder „dem unterzeichnenden Sachverständigen“, ist klar abzulehnen. Auch der noch immer in Gutachten zu findende Begriff „sachverständigenseits“ sollte nicht verwendet werden. Sprachlich sehr schlecht gewählt ist „nach diesseitigem Dafürhalten“. Es erhebt sich die Frage, was mit dieser Sprachwahl überhaupt gemeint ist. Gutachter die so schreiben weisen indirekt darauf hin, dass sie nicht in der Lage sind sich üblichen, modernen Sprachgewohnheiten anzupassen. Sprachformen wie „würde, hätte. Sollte, könnte sein, eventuell, wäre möglich usw.“, haben in einem Gutachten nichts zu suchen. (…)
Zwingt der Sachverständige sich zu häufigem Lesen des bereits geschriebenen Textes, so läuft er weniger Gefahr gegebenenfalls am Sachthema vorbei zu schreiben. Kurze Satzfolgen zeichnen ein gutes Gutachten aus, die z. T. weitschweifigen Sätze der Juristen sollten als nicht nachahmenswert angesehen werden.
Zur Klärung der Aufgabenstellung (S. 50):
Eine Aufgabenstellung erklärt sich nicht von selbst. Die Frage, wer der Auftraggeber des Gutachtens ist, muss vom Sachverständigen eindeutig festgestellt werden (Privatperson, Gericht, Versicherung, Bank oder sonstige Auftraggeber wie Gesellschaften, Eigentümergemeinschaften usw.) Wer als Auftraggeber festgestellt ist, dessen Name gehört in das Gutachten. Es ist Sache des Sachverständigen, eventuell ungeklärte Auftragssituationen aufzuklären und Rücksprache mit dem Auftraggeber zu halten.
Zur Fertigstellung des Gutachtens (S. 71):
Kein Sachverständiger sollte sich von einem Auftraggeber drängen lassen, nun endlich fertig zu werden. Vereinbarte Termine sind selbstverständlich einzuhalten. Zwischen der Konzeptfertigstellung und der Nachlese sollten Tage mit anders gearteter Tätigkeit liegen. Dieser Abstand hilft Einzelheiten zu vergessen und damit wird es möglich, Fehler in der Sache oder im Gutachten zu erkennen.
Zur Sorgfalt bei einer Befundaufnahme (S. 116):
Wer nicht zuhören kann, der wird nichts erfahren, was er schreiben kann.
Wer nicht hinsehen kann, der wird auch nichts schreiben können.
Wer nicht weiß, was er sehen soll, der kann nicht aufschreiben, was er gesehen hat.
Wer nicht gelernt hat Sachbezüge herzustellen, der kann in einem Gutachten keine Fallentwicklungen vermitteln.
Zur Genauigkeit von Begriffsdefinitionen (S. 124):
Wann ist eine Arbeit fehlerhaft? Wann besteht ein Mangel? Wann besteht ein Schaden?
Die Begriffe Fehler, Mangel und Schaden müssen aus der Sicht des Sachverständigen definiert und gegen die juristische Sicht der Begriffe abgegrenzt werden. Die einzelnen Begriffe sind eindeutig juristische Formulierungen, die aber dem Sachverständigen inhaltlich bekannt sein müssen. Juristen bemängeln häufig, dass die Sachverständigen die Inhalte zu den einzelnen Begriffen nur ungenau oder gar nicht trennen. Hier besteht ein großes Potential, Sachverständige mit ihren Gutachteninhalten anzugreifen.
—