„Meine Situation wird immer schwieriger. Ich habe keine Idee, wie das weitergehen soll! Lange halt‘ ich das nicht mehr aus!“ Das sind Aussagen von Leuten in Führungspositionen, aus höherem Management, allesamt mit langjähriger Praxis. Es sind nicht allein die wachsende Arbeitslast, das immer weiter abkühlende Beziehungsumfeld im Unternehmen, das ständige Sich-Absichern-Müssen nach allen Seiten hin oder die viel zu seltene Anerkennung. Mehr und mehr quält sie die Sinnfrage. Seufzer wie „Wozu tue ich mir das an? Vor allem, warum tue ich das überhaupt?“ sind dann zu hören.
Oberflächlich könnte eine Reaktion darauf so lauten: „Na Deine Sorgen möchte ich haben. Dafür wirst Du doch bezahlt, das noch dazu sehr, sehr gut!“ Das stimmt ja auch. Alle diese Gesprächspartner sind mittlerweile wohlbestallt mit Dingen, die man sich halt so wünscht: Haus oder komfortable Wohnung in bester Lage, regelmäßige Urlaubsreisen in weite Länder, fetter Dienstwagen … Aber die Erfüllung materieller Wünsche kann die wachsende innere Leere nicht kompensieren. Meist sind lange Arbeitszeiten und oftmalige dienstbedingte Abwesenheiten schon zu einer Belastung für Ehebeziehungen geworden.
Fliehen hilft nicht
Es ist ein Dasein mit dem Gefühl, ständig getrieben zu werden und nicht mehr Herr der eigenen Situation zu sein. Es fühlt sich nicht mehr wie ein selbstbestimmtes Leben an, Freiraum zum Abschalten und Zur-Ruhe-Kommen ist nicht einmal in den Urlaubszeiten sicher. Der latente und wachsende Wunsch nach einem Ausbrechen kann seltsame Blüten treiben: Es wird der totale Ausstieg zumindest gedanklich durchgespielt. Oder der Kauf eines Urlaubsdomizils überlegt, das aber erst wieder in einem Umfeld angesiedelt ist, wo man sich mit denen trifft, die ähnliche Probleme haben …
Die Kompassnadel
Was ist da los? Dazu ist Grundsätzliches vorauszuschicken. In meiner Sicht hat jeder Mensch gottgegebene Talente oder Begabungen, die – vertraut man Genetikern – ihm zum Großteil mit seinem Genpool in die Wiege gelegt worden sind. Natürlich sind in der Schul- und Berufslaufbahn Stärken und Fähigkeiten dazugekommen, teils selbst erwünscht, teils erzwungenermaßen. Letztere waren für den Lebenswandel sinnvoll und zweckmäßig und haben deshalb immer größeren Raum eingenommen. Nicht immer sind sie aber mit der eigentlichen persönlichen Grundausstattung an Veranlagungen in Einklang zu bringen.
Der Frustwinkel
Das Ergebnis lässt sich auch anders darstellen: Man denke sich, dass jedermann einen Kompass eingebaut hat. Dessen Nadel zeigt automatisch immer in die Richtung der innewohnenden Begabungen. Liegt die berufliche Aufgabe oder die Art der Betätigung nicht in dieser Richtung, wird die Nadel gewaltsam abgelenkt. Je weiter die Ablenkung schreitet, desto größer wird dieser “Frustwinkel“. Die Folgen dieser inneren Zerrissenheit sind sattsam bekannt. Bedauerlicherweise ist gemäß einer weltweiten Untersuchung von Gallup nur jeder fünfte Berufstätige in der Lage, seine Begabungen an seinem Arbeitsplatz einsetzen zu können.
Veränderung ist unumgänglich
Was also kann man tun? Einfache Antwort: Veränderung ist notwendig! Das klingt banal, ist aber nicht einfach. Will heißen: Entweder ich verändere mich selber, dass ich es in den gegebenen Umständen aushalte. Was Resignation und innere Emigration bedeutet. Kurzkommentar: Nicht empfehlenswert! Oder ich verändere mein Umfeld. Möglichkeiten: Wechsel des Arbeitgebers oder Schritt in die Selbstständigkeit. Zugegeben: Keines von beiden ist einfach! Wechsel erfordert ausreichend Zeit zur Vorbereitung, viel Zeit zum Nachdenken, Gespräche mit dem Ehepartner, dann Gespräche mit Vertrauenspersonen.
Nichts überstürzen
Das Wichtigste ist das genaue Durchdenken der Konsequenzen, das sorgfältige Abwägen von Alternativen, gute Beratung und Hilfe von Leuten, die selber durch ähnliche Prozesse durchgegangen sind. Irgendwann kommt der Punkt einer inneren Entscheidung: Ja, ich will das machen! Folge: Innerer Friede und Erleichterung. Jetzt sind keine überstürzten Aktionen angesagt, sondern sorgfältige Planung. Alles Wichtige beachten, bis hin zum richtigen Kündigungstermin. Abwarten ist wichtig bis zu dem Zeitpunkt, dass eine Trennung ohne Groll oder gar Rache möglich ist, ein geordneter Abschied ist wichtig!
Vorsicht am Weg in die Selbstständigkeit.
Besondere Aufmerksamkeit erfordert natürlich ein Umstieg von einem Arbeitsverhältnis als höherer Angestellter, vielleicht schon mit einer Anzahl von Privilegien, in die Selbstständigkeit. Selbstständige haben im Regelfall kein regelmäßiges Einkommen, sondern sind auf Aufträge angewiesen. Auch hier ist wieder zu warnen: Am Anfang wird man vielleicht auch solche annehmen, die nicht im Zentrum der eigenen Begabungen liegen. Ausdauer und Geduld sind gefragt. Aber nach und nach sollte die Kompassnadel möglichst nah an ihre Ruhestellung herankommen. Selbstständigkeit erfordert zugleich ein hohes Maß an Verantwortung, aber auch an Beweglichkeit.
Los von Abhängigkeiten
Das Loskommen vom regelmäßigen Einkommen ist vielleicht jene Hemmschwelle, die am schwierigsten zu bewältigen ist. Der aus Indien stammende und zum Philosophen gewordene amerikanische Investor Naval Ravikant hat dazu gemeint: „Es gibt zwei Arten von schwerer Sucht. Die erste ist Kokain und die zweite ist ein Gehalt am Monatsende.“ Aber auch dieses „Suchtverhalten“ ist zu besiegen. Das Leben eines Selbstständigen ist zugegeben nicht einfach und bestimmt anspruchsvoller als ein Angestelltendasein. Aber es ist ein schönes Gefühl, mit seinen Begabungen die Möglichkeiten wahrnehmen zu können, die der Markt bietet.