Es ist ein Merkmal nicht nur unserer Zeit, dass traditionelle Autoritäten infrage gestellt werden. Dabei denken wir wahrscheinlich zuerst an Politik oder an verschiedene Bereiche der Gesellschaft. Neu daran ist, dass zunehmend auch fachlich hervorstechende Personengruppen oder Institutionen, ja sogar die freien Berufe als Ganzes unter Beschuss geraten und von zwei Seiten zugleich in die Zange genommen werden: Einmal gesellschaftlich von der gesamteuropäischen Bestrebung, echte oder scheinbare Privilegien abzubauen, Stichwort Dienstleistungsrichtlinie; Auf der anderen Seite technisch durch die Digitalisierung.
Zur Klarstellung sei zu allererst gesagt, dass hier keiner Ablehnung der Dienstleistungsrichtlinie das Wort gesprochen werden soll, im Gegenteil sind etwa Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit unabdingbare Voraussetzungen eines funktionierenden Binnenmarkts. Dies umso mehr, als zu bedenken ist, dass der größte Teil der Wertschöpfung in den westlichen Industriestaaten, nämlich mehr als zwei Drittel, durch Dienstleistungen erbracht wird und der gesamte Sektor zugleich den größten Arbeitgeber abgibt. Nicht ohne Grund sprechen wir davon, dass wir in einer Dienstleistungsgesellschaft leben.
Gefahr der Nivellierung nach unten
Was aber in diesem Zusammenhang sehr wohl hohe Aufmerksamkeit verdient, ist die Tatsache, dass Dienstleistungen ganz allgemein und solche der freien Berufe und anderer anspruchsvoller im Besonderen bestimmten anspruchsvollen Qualifikationen unterliegen, sowohl was Zugang und Ausübung betrifft. Wer hierzulande etwa Rechtsanwalt oder Ziviltechniker werden will, muss sehr hohen Anforderungen an Ausbildung und beruflicher Erfahrung genügen. Das Bestreben um Harmonisierung bringt gewollt oder ungewollt immer die Tendenz einer Angleichung und damit die Gefahr einer Nivellierung, meist nach unten.
Der Preis der Spitzenleistung
Diese Nivellierung ist durchaus in der Absicht all jener, die sich dadurch leichteren Zugang und in Folge höheren Wettbewerb versprechen, mit dem Ziel, Leistungen kostengünstiger zu und für die Allgemeinheit leichter erschwinglich zu machen. Hinter dem Ansinnen der generellen Kostensenkung und dadurch leichteren Zugänglichkeit zu anspruchsvollen Leistungen mögen hehre Motive stehen. Die aber nehmen keine Rücksicht auf Anstrengung und Aufwand, den jemand an Lernzeit und Kosten für Ausbildung und Erhaltung der Spitzenkompetenz auf sich nehmen muss und den er sich einnahmenseitig erst erarbeiten muss.
Qualifikation braucht Regeln
Höchstmögliche Kompetenz zu niedrigstem Preis wird es aber nicht geben können, denn Selbstständige, die in einem Arbeitsfeld nicht genug zum nachhaltigen auch finanziellen Erfolg kommen können, werden ihr Wissen nicht verschleudern, sondern sich lukrativeren Aufgaben zuwenden. Für die Allgemeinheit gehen dadurch professionelles Wissen verloren. Das Setzen geeigneter Qualifikationsnormen durch Zugangsregeln und die Aufrechterhaltung dieser muss daher im Interesse einer funktionierenden Gemeinschaft liegen. Was aber nicht ausschließt, dass manche traditionelle Leistungen preisgünstiger werden können.
Erster Schritt zur Umgestaltung
Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Die bereits besprochenen Forschungsarbeiten von Suskind, aber auch von anderen Wissenschaftlern beschäftigen sich intensiv damit, wie die Entwicklungen der näheren Zukunft aussehen können. Dazu wurden zuerst die Tätigkeiten einer ganzen Reihe freier Berufe untersucht mit dem Ziel, herauszufinden, was denn die Aktionen des typischen Experten sind. Eine Erkenntnis dieser Analyse ist die, dass sehr viele Teile der Arbeit in der Bewältigung von Routineaufgaben bestehen, die von geringer Qualifizierten oder aber auch direkt von Computern übernommen werden können.
Kommen „Para-Sachverständige“?
Genau diese Übernahme von Routineaufgaben ist es, die nach Meinung der Wissenschaft dazu führt, dass es zwar auch in absehbarer Zukunft Experten geben werde – also auch Sachverständige – allerdings viel weniger als heute. „Para-Sachverständige“, also Leute, die dieses eine geringere Ausbildung und wenig Erfahrung erfordernde Routinewissen besitzen (oder sich aus dem Internet, aus Datenbanken etc. beschaffen) könnten einen Großteil des Bedarfs an weniger hochwertigem Wissens abdecken. Eigene Erfahrung zeigt, dass damit bereits sehr viele Ratsuchende das Auslangen finden würden.
(wird fortgesetzt)