Als „Gleichzeitig in beide Richtungen“ oder „auf beiden Seiten“ definiert der Duden den Begriff „duplex“, hergeleitet aus dem gleichlautenden lateinischen Begriff für doppelt. Manchem älteren Techniker sind „Duplex“-Dampflokomotiven noch als besonders schnelle oder starke ihrer Art in Erinnerung. Im Zusammenhang mit dem heutigen Thema allerdings steht der Begriff als Hauptwort für ein „Doppel“ von Sachverständigen, die gemeinsam eine Befundaufnahme durchführen. Es gibt eine Reihe von Anlässen, die eine derartige Konstellation sinnvoll erscheinen lassen, ja sogar erforderlich machen.
Konkret geht es um das Zusammenwirken von zwei Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten, die sich aber in Randbereichen berühren oder überlappen. In anderen Fällen ist damit auch die Kooperation von zwei Sachverständigen aus demselben Fachgebiet gemeint. Warum kommt es zu derartigen Einsätzen? Drei Anlassfälle aus der selbst erlebten Praxis mögen dies anhand der jeweiligen Problemstellung und deren Lösung verdeutlichen.
Fall 1: Komplexe Anlage und schwierige Umstände
Das Problem: Für die Befundaufnahme einer unübersichtlichen Anlage, die mit einem ebenfalls komplexen System verwoben ist, muss der technische Zustand erhoben werden. Die vorliegenden Pläne entsprechen wegen den zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Örtlichkeiten wegen dicht gedrängter Bauweise schwer zugänglich sind und zudem für den Befund aus betriebstechnischen Gründen nur ein sehr knappes Zeitfenster zur Verfügung steht. Außerdem ist eine Vielzahl von Personen in die Vorgänge miteinzubeziehen. Alle diese Randbedingungen erfordern eine zielführende und straffe Abwicklung, eine Wiederholung wegen fehlender Informationen ist praktisch ausgeschlossen.
Die Lösung des Problems erfolgt auf unkonventionelle Weise. Zwei Sachverständige machen die Befundaufnahme zeitgleich, jedoch getrennt, wobei einer die Anlage direkt per Handskizzen erfasst und der andere aus allen denkbaren Positionen Lichtbilder und Videos aufnimmt und das Ergebnis unabhängig von seinem Kollegen später im Büro ebenfalls in eine Reihe von detaillierten Handskizzen überführt. Wenn die Erkenntnisse der beiden Sachverständigen zumindest in den wesentlichen Punkten deckungsgleich sind, kann man davon ausgehen, dass das vorliegende Befundergebnis mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Allein schon dieses Mehr an Sicherheit für alle Beteiligten rechtfertigt den Mehraufwand.
Fall 2: Genaue Werkstoff- und Systemkenntnis erforderlich
Das Problem: An einer weitläufigen Haustechnikanlage sind an einzelnen Elementen überraschend Undichtheiten aufgetreten. Wegen der beträchtlichen Anzahl besagter Elemente und dem damit verbundenen hohen Risiko von künftigen Gebäude- und Inventarschäden muss mit größter Genauigkeit herausgefunden werden, worin deren Ursachen liegen und vor allem ob es sich dabei entweder um Montage- oder um Produktfehler handelt. Die Elemente bestehen aus einem für derartige Anwendungen nicht alltäglichem Werkstoff, der sehr genaue Einhaltung seiner Einsatztemperaturen und -drücke verlangt. Nebenbei sind auch in diesem Fall seitens der Benutzer zeitliche und örtliche Zugangsbeschränkungen zu den Montageorten zu beachten, ebenso die schwierige Zugänglichkeit der einzelnen Elemente.
Die Lösung: Die Befundaufnahme im Duplex hat den Vorteil, dass der Werkstoffspezialist sich ein umfassendes Bild von den Bedingungen am Montageort machen und auch die Nutzer vor Ort befragen kann. Der andere Sachverständige ist imstande, dazu das Wissen über das installierte System und dessen innere Vorgänge sowie die Einwirkungen der Versorgungsmedien auf die zu untersuchenden Elemente darzulegen – wichtige, ja entscheidende Information für das sich daraus ergebende Gesamtbild. Auch hier ist der Gewinn an Zeit und Genauigkeit durch die parallele Vorgangsweise wesentlich höher einzuschätzen, als eine Bearbeitung durch erst den einen und danach erst durch den anderen Sachverständigen.
Fall 3: Abschirmung und Deeskalation notwendig
Das Problem: Im Zuge von privaten Streitigkeiten unter Verwandten über die Höhe von verrechneten Heizkosten ist die Heizungsanlage eines Wohngebäudes aufzunehmen und dazu sind auch die wichtigsten Abmessungen des Gebäudes selbst zu erheben. Die verwandtschaftlichen Auseinandersetzungen dauern schon eine Zeitlang an, haben die emotionalen Reserven der Beteiligten weitgehend aufgezehrt und sind bereits bis knapp vor Einbringung einer Klage bei Gericht eskaliert. Der Sachverständige wird ersucht, nicht nur über die Angemessenheit der Heizkosten zu befinden, sondern gleich auch über den Wert der Heizungsanlage im Wohnhaus. Noch dazu soll er anlässlich des ohnehin erforderlichen Besichtigungstermins auch gleich einen letzten Vermittlungsversuch in Richtung einer gütlichen Einigung unternehmen.
Die Lösung: Bei der technischen Beurteilung und dem Schlichtungsversuch handelt es sich um zwei grundverschiedene Dinge, die auch nicht zugleich erfolgen können, da zuerst die technischen Fragen geklärt werden müssen und dann eine Beurteilung der Kosten erfolgen kann. Jedenfalls ist bei der Befundaufnahme sicherzustellen, dass es nicht zu Eskalationen kommt. Daher wird im Duplex mit einem Kollegen aus demselben Fachgebiet gearbeitet: Einer kümmert sich um die anwesenden Personen, holt sich von ihnen Informationen und sorgt für eine möglichst konfliktfreie Atmosphäre. Zugleich hält er damit dem anderen den Rücken frei, der sich ungestört um die Technik kümmern und alle Daten und Abmessungen aufnehmen kann, allesamt Grundlagen für die erforderlichen Berechnungen und für einen späteren Vergleich.
—
Haben auch Sie ähnliche Erfahrungen? Wenn ja, schreiben Sie mir!