Sachverständige sind angehalten, ihre Arbeit mit höchster Objektivität zu erledigen. Subjektive Elemente – etwa persönliche Meinungen oder Neigungen – haben dabei keinen Platz. Aber Sachverständige sind wie alle anderen Menschen auch unbewussten Einflüssen und psychologischen Mechanismen ausgesetzt, die man kennen sollte. Nicht dazu, um auf dem „Klavier“ der Manipulation spielen zu können, sondern um sie zu durchschauen und sich davor zu schützen. Zum dafür nötigen Wissensvorsprung empfiehlt sich ein Blick in ein Stück Literatur, das nicht nur die Augen öffnet, sondern auch vergnüglich zu lesen ist.
Gemeint ist der Klassiker „Influence – The Psychology of Persuasion“ von Dr. Robert Cialdini, einem Universitätsprofessor für Psychologie, der das Buch schon vor dreißig Jahren veröffentlicht hat. Er legt als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Forschungen sechs Prinzipien dar, von denen er zeigt, dass sie wesentlichen Einfluss auf das Verhalten von Menschen haben. Sie sind nachstehend kurz zusammengefasst, ergänzt um Anmerkungen, was sie für Sachverständige bedeuten können.
1. Wechselseitigkeit
Hier geht es um das Wechselspiel von Geben und Nehmen. Aufgezeigt wird, dass sich Menschen grundsätzlich für etwas, das sie geschenkt erhalten, auch erkenntlich erweisen wollen. Das kann in der Weise missbraucht werden, dass sie sich „schuldig“ fühlen, wenn sie etwa nach einem kostenlosen Werbeartikel nichts kaufen. Ein Sachverständiger in einem Gerichtsverfahren wird daher (aber auch schon aus Gründen des gleichen Abstands) sorgsam darauf bedacht sein, von keiner Partei scheinbar kleine Gefälligkeiten anzunehmen – etwa eine Einladung zu einem Mittagessen.
2. Festlegung und Beständigkeit
Wir haben unsere Prinzipien und Gewohnheiten, die wir uns einmal zurechtgelegt haben und von denen wir ungern abweichen. Dadurch wird das Leben für uns einfacher und wir erscheinen beständig und berechenbar. Die Gefahr dahinter liegt darin, dass wir in vielen Fällen dadurch zu Selbsttäuschungen neigen können, da das Leben um uns herum eben nicht so einfach ist wie wir meinen. Für den Sachverständigen besteht die Herausforderung darin, dass er den Stand seines Wissens stets kritisch hinterfragt und sich bewusst ist, dass auch die Eigenerfahrung zu einem Teil von Selbsttäuschung gekennzeichnet sein kann.
3. Sozialkonformes Verhalten
Dieses Prinzip ist uns allen nur zu gut bekannt, im krassesten Fall nennt man es den Herdentrieb. Zumindest neigen wir dazu, uns nach dem zu orientieren, was andere für richtig halten. Das ist vielleicht meistens sogar passend, sicher auch bequem, weil das Leben dann scheinbar reibungslos verläuft. Die Gefahr dahinter ist natürlich die, dass auch die Mehrheit irren kann, anstatt mit Schwarmintelligenz hätte man es dann mit Schwarmdummheit zu tun. Beispiele aus der Geschichte gäbe es ja. Den Sachverständigen betrifft das insofern, dass er jeder Art von Gruppendruck widerstehen muss, wenn seine Erkenntnisse in „unpopuläre“ Richtung laufen.
4. Sympathie
Gerne lassen wir uns auf jemanden ein, der uns sympathisch ist. Das muss uns bewusst sein, wenn wir es etwa mit Verkäufern zu tun haben oder mit Menschen, die uns von ihrer Sicht der Dinge überzeugen wollen. Dazu kommt, dass wir solchen Menschen in einer Art milder Überhöhung noch andere gute Eigenheiten zuordnen, etwa die, dass sie sehr talentiert oder außergewöhnlich klug sein müssen. Dass dabei die äußere Erscheinung und das Auftreten eine Rolle spielen, dürfte klar sein. Oder aber, dass Andere denselben gesellschaftlichen oder beruflichen Hintergrund haben. Sachverständige müssen sich davor hüten, aus derartigen Mechanismen heraus sich einer Partei zuzuneigen oder einer anwaltlichen Charmeoffensive zu erliegen. Auch darf es in den Gutachtensergebnissen keine Rolle spielen, dass einem eine der betroffenen Parteien von Herzen leidtut.
5. Autorität
Hier könnten Sachverständige sich in einer aktiven Rolle finden. Denn Experten werden zumindest als fachliche Autorität wahrgenommen, der man mangels Entgegnungsmöglichkeit alles abnehmen muss, was sie äußert. Dass der Sachverständige hier eine besondere Verantwortung im Hinblick auf die Qualität und Sorgfalt seiner Arbeit trägt, ist offensichtlich. Andererseits ist der Sachverständige selbst sehr oft auf die Expertise von Kollegen aus anderen Fachgebieten angewiesen. Er ist daher stets gefordert, sein kritisches Denken zu gebrauchen und sein eigenes Sensorium für Ungereimtheiten aktiviert zu lassen.
6. Knappheit
Alles, was selten oder schwer zu bekommen ist, kann sehr begehrenswert sein. Wir sehen das am Preis einzigartiger Kunstwerke, aber etwa auch an eng begrenzten Sonderserien von Luxusfahrzeugen, die wegen der begrenzten Stückzahl schon vor Produktionsbeginn an eine wohlhabende Klientel ausverkauft sind. Offensichtlich hängt Knappheit immer in irgendeiner Weise mit Konkurrenz zusammen, egal ob diese Knappheit natürlichen Gegebenheiten entspringt oder ob sie künstlich geschürt worden ist. Den Sachverständigen kann Knappheit dann positiv treffen, wenn er auf seinem Fachgebiet ein gefragter Einzelgänger ist.