Es war der austro-kanadische Unternehmer Frank Stronach, von dem ich anlässlich eines Vortrages vor Jahren erstmals seine Definition der Goldenen Regel gehört habe: „Wer das Gold hat, macht die Regel.“ Das hab ich für einen guten Witz gehalten, mehr nicht, weil ich der Meinung war, dass er die wahre Bedeutung der Goldenen Regel wohl kennt. Allmählich ist mir aber leiser Zweifel gekommen und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er das wirklich so meint, wie er es sagt. Aber auch ein anderer österreichischer Unternehmer hat in einem Interview die gleiche Sichtweise gezeigt …
…“Die goldene Regel kann in einer Demokratie nicht wirklich greifen“, meinte Stefan Pierer unlängst in einem Interview mit der Kleinen Zeitung am 8.11.2013 zum politischen Auftritt von Frank Stronach. Natürlich könnte es sein, dass er sich auf die Stronach’sche Definition bezieht und um die wahre Bedeutung weiß, aber auch da bin ich mir nicht so sicher. Pierer ist ein renommierter und erfolgreicher Industrieller mit Beteiligungen an mehreren bekannten Unternehmen, z.B. KTM, Eternit, Austria Email usw. und damit ein Meinungsbildner. Zeit also, die Dinge etwas aufzuhellen.
Was die Goldene Regel wirklich aussagt
Wir finden das Prinzip der Goldenen Regel in einigen Religionen und Philosophien und – wohlgemerkt – es hat nichts mit Gold im Sinne von Geld oder materiellen Werten zu tun. Die Goldene Regel ist uralt und einfach zu merken, sie ist ein Kernsatz guter Erziehung, aber in der Praxis laufen wir oft Gefahr, sie zu vergessen und zwar meist dann, wenn wir uns etwas zu wichtig nehmen. Sie hat zum Inhalt, dass wir unser Verhalten als Gesellschaft so gestalten, dass wir in allen Situationen den anderen so behandeln, wie wir auch selbst behandelt werden wollen. In der Definition der Bibel nach Matthäus 7,12 und Lukas 6,31 lautet sie:
„Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt.“
Oder in einer anderen Übersetzung:
“Alles, was ihr für euch von den Menschen erwartet, das tut ihnen auch.”
In der Philosophie findet sich das Prinzip etwa im Kategorischen Imperativ von Kant wieder, das vereinfacht dargestellt besagt, dass wir so leben sollen, dass nach unserem Vorbild ein allgemein gültiges Gesetz geschaffen werden könnte. Der Volksmund kennt die Konsequenzen des Einhaltens oder Nichteinhaltens der Goldenen Regel: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Kurzum, die Goldene Regel ist Bestandteil einer Kultur der gegenseitigen Achtung, die selbst in Konfliktsituationen nicht vergessen werden sollte.
Was die Goldene Regel für den Freiberufler bedeutet
Die Einhaltung der Goldenen Regel ist nicht nur ein zentrales Erfolgsprinzip für jeden Freiberufler, sondern stellt auch eine Mindestanforderung an seine ethische Kompetenz dar. Es ist in allen und besonders in spannungs- und konfliktbeladenen Situationen der Freiberufler, der sich an die Regel halten wird, auch wenn er nicht darauf bauen kann, dass die andere Seite es ebenso tut. Das biblische Prinzip „Geben ist seliger als Nehmen“ gilt auch hier. Aus dieser Einstellung heraus erwächst dem Freiberufler bleibender Respekt, der ihn zu einem anerkannten und bewährten Partner werden lässt.