Vorab: Wir verstehen hier unter einem Experten jemanden, der in einem Fachgebiet hohes Wissen hat, etwas beherrscht und als leuchtendes Vorbild seiner Zunft gilt. Wie wird man Experte? Wissenschaftler haben sich mit dieser Frage seit vielen Jahren auseinandergesetzt: Wodurch werden Menschen zu Experten? Wie schaffen es manche, weltweit anerkannte Spitzenleistungen zu vollbringen, sei es in Musik, Sport, Wissenschaft, Wirtschaft? Ihr Fazit: Talent ist förderlich, ist allein aber zu wenig, Intelligenz allein reicht auch nicht. Es gibt einen zentralen Faktor, der Spitzenkönner auszeichnet …
… und das ist: bewusstes Üben!
Das hätten wir auch gewusst, oder? Klingt ja doch so banal. Ist es aber nicht. Gut wird man ausschließlich dort, wofür man sich entscheidet, Zeit aufzuwenden, um gezielt besser zu werden. Das hat einmal nichts mit Spaß zu tun, und es geht zumeist auch nicht leicht. Aber es erfolgt aus einem inneren Antrieb heraus, aus einer Freude am Kreativen, einer Leidenschaft, einem Brennen, das dazu führt, die eigenen Grenzen immer mehr auszudehnen und dadurch außergewöhnliche Dinge zu erreichen. Menschen, die es schaffen, in ihrem gewählten Feld dranzubleiben, erreichen Außerordentliches.
Die 10.000-Stunden-Regel
K. Anders Ericsson, ein schwedischer Psychologe, der an der Florida State University lehrt und forscht, bringt es auf den Punkt: „deliberate practice“, bewusstes, freiwilliges Üben ist der Schlüssel zum Erfolg. Er bestätigt auch die 10.000-Stunden-Regel, die schon vor über einhundert Jahren aufgestellt worden sei: Um in einem Beruf wirklicher Experte zu sein, ein „Profi“ mit Anerkennung in seiner Branche, muss jemand wenigstens die genannte Stundenzahl aufwenden, wozu üblicherweise ein Zeitraum von etwa zehn Jahren notwendig ist.
Zehn Jahre Erfahrung
Nicht ohne Grund ist etwa der Praxiszeitraum, den jemand auf seinem Fachgebiet nachweisen muss, um Sachverständiger werden zu können, mit zehn Jahren bemessen. Malcolm Gladwell hat aufbauend auf die wissenschaftlichen Arbeiten von Eriksson in seinem Buch „Outliers“ als Beispiele dafür etwa Bill Gates oder auch die Beatles herangezogen, Geoff Colvin baut in seinem Buch „Talent is overrated“ ebenfalls auf derselben wissenschaftlichen Grundlage auf und nennt als Beispiele so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Mozart und Tiger Woods, die beide von klein auf bereits von ihren Vätern auf dem späteren Wirkungsfeld trainiert worden seien.
Erfolg kostet Zeit und Mühe
Colvin erwähnt auch, dass im Jahre 2006 die damals 27jährige japanische Eiskunstläuferin Shizuka Arakawa bei den olympischen Spielen in Turin im Eiskunstlauf die Goldmedaille holte. Sie war von Kind auf trainiert worden und hatte nie aufgegeben. Colvin schätzte, dass sie im Laufe ihres Trainings mindestens zwanzigtausendmal mehr oder weniger schmerzhaft mit ihrem Hinterteil auf dem harten Eis gelandet sein muss. Warum tun wir uns schwer, unser eigenes Expertenfeld abzustecken und dranzubleiben, bis sich nachhaltiger, weil dauerhafter Erfolg einstellt? Es mag viele Gründe dafür geben, vielleicht fehlt uns die Orientierung oder der innere Antrieb, vielleicht auch ein entscheidender Impuls von außen.
Hingabe versus Spaßfaktor
Vor Jahren hatte ich Gelegenheit, Schulkinder in Singapur bei der Erledigung ihrer Hausaufgaben zu beobachten. Schulheft zweigeteilt: linke Seite chinesische Schriftzeichen, rechte Seite Englisch. Viel Freude spürbar, zugleich aber Konzentration und Ernsthaftigkeit. Offensichtlich waren alle mit voller Hingabe dabei.
Szenenwechsel – unlängst Gespräch mit einem lieben Bekannten, Lehrer an einer Handelsakademie. Auf meine Frage, was sich so geändert hat in den letzten zehn Jahren: Schüler haben heute wesentlich weniger Konzentration, es gibt mehr Ablenkung, weniger Eigenständigkeit, wenig Eigenverantwortung, vor allem aber: alles muss leicht gehen …
Herausforderung annehmen
Colvin zitiert Noel Tichy, Wirtschaftsprofessor an der University of Michigan, der drei konzentrische Kreise zeichnet und den innersten die „Behaglichkeitszone“ nennt, den mittleren Ring die „Lernzone“ und den äußeren die „Panikzone“. Entscheidend für unser erfolgreiches Fortkommen sei, dass wir aus der „Behaglichkeitszone“ in die „Lernzone“ wechseln und dort bleiben. Das ist zwar unangenehm, aber nur dort erleben wir Fortschritt, der uns tiefe Befriedigung schenkt. Hoffen wir, dass es mehr und mehr Menschen gibt, die ihrer Berufung folgen und das Beste aus sich selber machen.
Also: Fangen wir damit bei uns selber gleich mal an …
Quellenangaben:
K. A. Eriksson et al.: The Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance, Cambridge 2006
M. Gladwell: Outliers, London 2008
G. Colvin: Talent is Overrated, New York 2010