Aus Fehlern kann man lernen, in erster Linie aus eigenen, aber das Lernpotential fremder Fehler ist auch nicht zu verachten. In seltenen Fällen scheinen sich Fehler so weit zu kumulieren, dass ein Sachverständiger, der ursprünglich als Privatgutachter lediglich mit besten Absichten einer Person helfen wollte, sich selber in ein Gerichtsverfahren verfangen sieht. Als ich als Außenstehender in einer solchen Sache um Rat gefragt wurde, wie man den Knoten denn nun lösen könne, war zuerst eine Diagnose der Situation angesagt. Dabei sind mir einige Fehler und Ungeschicklichkeiten aufgefallen, die wichtigen Grundsätzen der Begutachtungstätigkeit widersprochen haben.
Hier einige der Grundsätze, die ein Sachverständiger unbedingt beachten sollte:
Befund und Gutachten strikt trennen
In der Hitze des Gefechts kann es schon vorkommen, dass in die Wahrnehmungen sofort Vermutungen und Schlüsse einfließen. Das darf sich zwar in den Gedanken des Sachverständigen abspielen, nicht aber am Papier des Gutachtens! Die Wahrnehmungen und Erkenntnisse sind im Befund möglichst objektiv darzustellen, die Schlussfolgerungen und Meinungen dazu gehören in den Gutachtensteil. Beides ist strikt auseinanderzuhalten. Das alles lernt man ja schon in Vorbereitungskursen, es sollte also zum Basiswissen des Sachverständigen gehören.
Emotionen haben in einem Gutachten nichts verloren
Die Sprache im Gutachten soll sachlich bleiben und hilfreich. Letztlich soll ein Gutachten allen Beteiligten helfen, eine nüchterne Sicht der Dinge zu erlangen, es soll in seiner Sachlichkeit eher kalmieren als aufstacheln. Emotionell gefärbte Äußerungen wie „vernichtete Kosten“, „fürchterliche Energieverluste“ und „elender Pfusch“ haben – so meine ich – in einem Gutachten nichts verloren, sie dienen vielleicht der Argumentation eines der Anwälte, nicht aber der Sache selbst.
Faustregeln können ins Auge gehen
Wer Richtwerte angibt, sollte auch die Grundlagen angeben. Wer sich auf Regeln beruft, sollte diese aus entsprechenden Regelwerken belegen können. Die Allgemein anerkannten Regeln der Technik sind dazu eine gute Grundlage. Wer sich in seinem aber Urteil lediglich auf eine allgemein übliche Faustregel berufen kann, steht argumentativ auf unsicherem Terrain und am Ende vielleicht mit einem blauen Auge da. Letztlich zählen überprüfbare Nachweise und glaubwürdige Quellen.
Zahlenangaben müssen korrekt sein
Wenn in einem Gutachten das Rechenergebnis wesentlich ist für das Gutachtensergebnis, dann empfiehlt es sich, nicht nur die Berechnung mehrmals zu überprüfen, sondern auch das Ergebnis auf seine Plausibilität hin. Damit ist schlicht gemeint, ob das Ergebnis im Rahmen des Möglichen liegt, ob es überzeugend und nicht widerlegbar ist, verständlich und einleuchtend. Wer einen Rechenfehler nachträglich entdeckt oder gar erst in einem Verfahren in von anderer Seite aufgedeckt bekommt, hat Erklärungsbedarf und ist schon allein dadurch unnötigerweise in die Defensive gedrängt.
Die Balance von Gewicht und Umfang muss stimmen
Ein Gutachten muss in Bezug auf den Sachverhalt einen abgewogenen Umfang aufweisen. Soll heißen, dass ein wenig bedeutsamer Sachverhalt keine seitenweise Abhandlung rechtfertigt, andererseits ist es auch unverhältnismäßig, einen wichtigen Tatbestand quasi als Randnotiz abzutun. Verhältnismäßigkeit ist angesagt, alles mit Maß und Ziel. Andererseits neigen wir Techniker (andere Fachgebiete auch?) zum Tunnelblick: wir konzentrieren uns zu sehr auf die Sache selbst, „baggern“ uns hinein und übersehen dabei das Umfeld, das vielleicht die Informationen liefert, die wir suchen. Auch hier muss die Balance stimmen.
Sachverständige sind Helfer, keine Werkzeuge
Es ist zwar durchaus üblich, dass ein Privatgutachten dazu verwendet wird, eine Argumentation vor Gericht zu unterstützen, das Gutachten somit als Werkzeug eingesetzt wird. Was aber keinesfalls statthaft erscheint, ist das Hineinziehen eines Privatsachverständigen in ein Gerichtsverfahren, etwa als Nebenintervenienten. Zwar mag die Partei das verlangen, gegen einen derartigen Rollentausch muss sich der Sachverständige aber wehren können. Das ist dann kein Problem, wenn das Gutachten in jeder Hinsicht hieb- und stichfest ist, was der Regelfall sein sollte, der Sachverständige sich daher von Vereinnahmung frei halten kann.